Das Deutsche als Männersprache
Personenbezeichnung heute nur auf männliche Kinder referieren kann. — Durch historisch belegte Praxis gestützt, können wir folgern: Wird die Geschlechtsspezifikation allein durch das Genus gewährleistet, so sollte auch die Neutralisation mittels Genus, und zwar Genus Neutrum, erfolgen. Ich komme im Abschnitt 3 darauf zurück.
Nach diesen notwendigen systematischen Vorarbeiten nun zum Anlaß Ihrer Frage und Kernpunkt der Diskussion, den sogenannten movierten Formen. Im Schema sehen sie wie folgt aus:
Es ist auf den ersten Blick erkennbar, daß dieses System in punkto Symmetrie eine eklatante Fehlkonstruktion ist. Formal betrachtet ist es absurd und unökonomisch. Man stelle sich zum Vergleich etwa vor, wir würden die linken Körperteile mit der Fuß, der Schenkel, der Auge, der Bein benennen und die rechten mit die Füßin, die Schenkelin 16 , die Äugin und die Beinin!
Wie so manche sprachliche Absurdität läßt sich auch diese historisch erklären. Das formal gesehen unökonomische und absurde System ist ökonomisch und sinnvoll genau dann, wenn die männliche Hälfte der Menschheit als Norm gilt und im Zentrum des Interesses steht und die weibliche Hälfte von der männlichen abhängig ist und auch so wahrgenommen wird.
Für Derivationen gilt allgemein, daß das Denotat der derivierten Form in irgendeiner Weise dem Denotat der Grundform zugeordnet ist, von diesem Denotat her seinen eigentlichen Sinn bezieht. Weil Eva aus Adams, des Mannes, Rippe geformt wurde, deshalb soll sie »Männin« heißen, belehrt uns die Bibel mit bemerkenswerter linguistischer Klarsichtigkeit. Oder nehmen wir die Grundform England und die abgeleitete Form Engländer. Ein Engländer ist jemand, der aus England stammt; er ist durch die Bezeichnung Engländer deutlich dem Land England zugeordnet . Gäbe es das Wort England nicht, so auch nicht das Wort Engländer. Und weiter, entsprechend: Gäbe es nicht das Wort Engländer, so auch nicht das Wort Engländerin. Allgemein: Gäbe es nicht die maskulinen Grundformen, so auch nicht die abgeleiteten Formen auf - in.
Wie aber ist eine Engländerin ihrer »Grundform«, dem Engländer, wie eine Ärztin dem Arzt usw., »zugeordnet«? Wieso bringt die deutsche Sprache hier eine Abhängigkeitsrelation zum Ausdruck, die uns etwa bei Körperteilbezeichnungen völlig widersinnig vorkäme?
Die Geschichte der Entstehung, Funktion, Funktionsaufspaltung (s. u.) und Ausbreitung des Motionssuffixes -in aus feministischer oder wenigstens weiblicher Sicht ist noch nicht geschrieben. Für die Zwecke dieses offenen Briefes habe ich mich zunächst nur oberflächlich orientieren können. Natürlich sind alle älteren sprachhistorischen Arbeiten und auch die meisten neueren von Männern verfaßt, und wie wir Frauen inzwischen wissen, sind deren Forschungsergebnisse, Rekonstruktionen und Interpretationen, vor allem soweit sie uns, hier: Bezeichnungen für uns, betreffen, mit Vorsicht zu genießen. 17 Rein androzentrische (d.h. verfälschende) Sehweise prägt z. B. die folgende Feststellung von Henzen (1965: 152): »Wie schon angedeutet..., bildet das Idg. persönliche Feminina aus Maskulinen mittels reinen a -Stammes (lat. lupa, domina, puella).« (Was hier vorliegt, ist natürlich kein Ableitungsverhältnis dominus ® domina, sondern Differentialgenus: Beide, domin-a und domin-us, sind vom Stamm domin- abgeleitet.) - Solcherart »belehrt«, mögen wir verständlicherweise auch den meisten anderen »objektiven« Forschungsergebnissen männlicher Sprachhistoriker zu unserem Thema nicht mehr recht trauen. Über das Gotische, für das - ini (Vorläufer des - in) nur ein einziges Mal belegt ist 18 , werden wir von Wilmanns (1899: 217) wie folgt unterrichtet:
Persönliche Feminina lassen sich wie die persönlichen Masculina oft teils auf Verba, teils auf Substantiva mit unpersönlicher Bedeutung beziehen, z.B. pflega Pflegerin zu pflegan, hiwa Gattin zu *heiws Haus. Aber sie sind doch nicht von gleicher Ursprünglichkeit wie die Masculina, setzen vielmehr im allgemeinen Masculina voraus und sind von ihnen abgeleitet. Das Femininum-Suffix erscheint als ein Mittel, dem Masculinum gegenüber das natürliche Geschlecht zu bezeichnen. Natürlich folgt daraus nicht, daß jedes Femininum der Art auf ein Masculinum zurückgeführt werden müsse.
Frau fragt sich hier erstaunt: Wenn das Femininum-Suffix das natürliche Geschlecht bezeichnet, welches Geschlecht bezeichnet dann das Masculinum? (Vgl. auch den Schluß
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