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Das Deutsche als Männersprache

Das Deutsche als Männersprache

Titel: Das Deutsche als Männersprache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luise F. Pusch
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Ausdrücken, vgl. männlicher/weiblicher Vater. 14 Redundant, aber nicht zu Pleonasmen führend, ist das jeweilige Genus solcher Lexeme: Die Bezeichnungen für weibliche Menschen haben (mit wenigen Ausnahmen: Mädchen, Weib, Fräulein) feminines Genus, die Bezeichnungen für männliche Menschen (mit wenigen und bemerkenswerten Ausnahmen: Tunte, Tucke, Schwuchtel) maskulines Genus, vgl.:

    die Schwester, der Bruder
    die Tochter, der Sohn
    die Mutter, der Vater
    die Tante, der Onkel

    Diese »redundante Geschlechtsspezifikation« mittels des Genus unterscheidet z.B. das Deutsche und die romanischen Sprachen vom Englischen und den skandinavischen Sprachen.
    Die bisher vorgeführten Grafiken weisen trotz ihrer unterschiedlichen Belegung eine wichtige Gemeinsamkeit auf: ihre Struktur ist symmetrisch. Das heißt: Wenn (in den beiden mittleren Feldern) die Situierung oder die Geschlechtszugehörigkeit spezifiziert wird, so beiderseits und mit denselben grammatischen Mitteln:

    a) attributiv: linkes/rechtes Ohr / weibliches/männliches Kind
    b) lexeminhärent: daughter, son
    c) lexeminhärent plus Genus: die Tochter, der Sohn.

    Die Abstraktion von Situierung oder Geschlechtszugehörigkeit ist gekennzeichnet

    a) bei attributiver Spezifikation in den Mittelfeldern: durch Wegfall der Attribute
    b) bei lexeminhärenter Spezifikation in den Mittelfeldern: dadurch, daß das geschlechtsabstrahierende Lexem mit keinem der geschlechtsspezifizierenden formal identisch ist; anders gesagt: es ist nicht ambig — Kind: Mädchen, Junge. Mensch: Frau, Mann.

    Wir kommen nun zu der Gruppe der deutschen Personenbezeichnungen, die aus Adjektiven und Partizipien abgeleitet sind: d. Jugendliche/Abgeordnete. Die Geschlechtsspezifikation geschieht hier allein mittels des Genus; sie ist nicht lexeminhärent. Die Lexeme dieser Gruppe besitzen das sogenannte Differentialgenus: die oder der Jugendliche können wir sagen, je nach Geschlecht der jugendlichen Person. Zum Vergleich: Bei Mensch/Person können wir zum selben Zweck nicht zwischen die und der Mensch/Person wechseln. Wir müssen entweder ein anderes Lexem wählen (Frau/Mann) oder attributiv spezifizieren: weibliche/männliche Person.

    Schema für die Personenbezeichnungen mit Differentialgenus:

    Ich unterscheide in meiner Kommentierung der Grafiken zwischen >Geschlechtsabstraktion< und >Geschlechtsneutralisation<. Unter >Abstraktion< verstehe ich eine Relation zwischen Bezeichnung und Bezeichnetem (Wörtern und »Dingen«), Die Dinge haben Eigenschaften (d. h. sie sind weiblich oder männlich, links oder rechts situiert), von denen wir wissen, daß sie sie haben und die. uns wichtig sind. Wir besitzen aber Wörter zur Bezeichnung dieser Dinge, die von diesen Eigenschaften abstrahieren.
    Unter >Neutralisation< verstehe ich eine Relation zwischen Bezeichnungen. Ich betrachte den Plural (etwa: die Abgeordneten) als sekundär gegenüber dem Singular (die/der Abgeordnete). Im Singular besteht ein grammatischer Spezifikationszwang, aber diese Spezifikation wird in der Pluralform >neutralisiert<.
    Wir begegnen hier zum erstenmal einer asymmetrisch belegten Konfiguration (vgl. das stark umrandete Feld). Die Asymmetrie betrifft allerdings vorerst nur den Singular-Teil; später behandle ich Konfigurationen, die im Singular und im Plural asymmetrisch belegt sind. Die Asymmetrie des obigen Systems besteht darin, daß die Bezeichnungen für das männliche Individuum und für ein Individuum gleich welchen Geschlechts identisch »ausfallen«. Vom rein formal-linguistischen Standpunkt aus ist nicht einzusehen, wieso das System gerade diese Gestalt annehmen mußte. Theoretisch hätte auch das Femininum für die Neutralisierungsaufgabe ausersehen werden können, mit demselben Resultat einer asymmetrischen Konfiguration. Was jedoch formal am meisten befremdet, ist, daß nicht das Neutrum gewählt wurde, wo wir es doch nun einmal haben. Hierzu ein kleiner Ausflug in die Vergangenheit. In den Lebenserinnerungen des armen Mannes im Tockenburg, Ulrich Bräker, steht folgendes zu lesen:

    Im Winter 63 gebar mir meine Frau eine Tochter, und 65 noch eine. [...] auf der Stelle mußten I... I etliche [Geißen] herbeigeschafft werden. Die Milch stund mir und meinen drei Jungen trefflich an… . 15 (Hervorhebungen von mir.)

    Bräker verwendet die Jungen hier ganz offensichtlich nicht als Plural von der Junge, sondern (so vermute ich) von das Junge. Eigenartig (aber es wundert uns trotzdem kaum), daß die Jungen als

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