Das Deutsche als Männersprache
dieses historischen Exkurses:
Aber auch viel Neueres macht uns Kopfzerbrechen [...]. Wie steht es nur um die anscheinend so eindeutigen movierten Feminina? Von jeher besteht da Schwanken zwischen Frau Pfarrer und Pfarrerin (früher mit derselben Bedeutung); und heute kann man auf Buchtiteln lesen Studienrat und Studienrätin [...]. Für Wustmann, der sich über diese Damen mit männlichen Titeln sehr aufregt, gehört ein Frl. Doktor zu den Sprachdummheiten. Hier und in allen Fällen wie Spezialärztin, Direktorin, Referendarin, Verwalterin, Vertreterin stünde einem folgerichtigen Verfahren nichts im Wege, sofern nur das zartere Geschlecht es selbst wünschte. Dadurch könnte man übrigens endlich eine Frau Doktorin Meyer von einer Frau Dr. Meyer unterscheiden und neuerdings eine wirkliche Pfarrerin von einer Frau Pfarrer. Aber wie kennzeichnen wir einen weiblichen Kaufmann oder Obmann? Kauffrau klingt etwas ungewöhnlich (trotz Gemüse-, Eier-, Milchfrau [...]) und könnte einen unliebsamen semantischen Nebenton haben. Vielleicht Kaufmännin, Obmännin? Sagen wir doch anstandslos Landsmännin, unbekümmert um den Widerspruch in - männin. (Henzen 1965: 116f.)
Soweit also das Henzensche Standardwerk im Jahre 1965. Immerhin — die Zeiten haben sich inzwischen doch schon dahin geändert, daß niemand mehr es wagen würde, diesen Stoff in so plumper und peinlich »neckischer« Weise zu erörtern. Und die Rede von »sofern nur das zartere Geschlecht es selbst wünschte« erscheint als Verdrehung oder naive Verkennung der wirklichen Gegebenheiten angesichts der Tatsache, daß Ministerien die »männlichen Titel« gesetzlich verordnen und erst Sprachgutachten einholen »müssen«, bevor dem erklärten Wunsch der Frauen (eventuell) entsprochen werden »kann«.
Festzuhalten bleibt also, daß die movierte Form zur Bezeichnung weiblicher Menschen eine sprachliche Diskriminierung sozusagen ersten Ranges darstellt. Das hochproduktive Suffix -in konserviert im Sprachsystem die jahrtausendealte Abhängigkeit der Frau vom Mann, die es endlich zu überwinden gilt. Auch sprachlich.
Wenn nun aber nur die movierte Form abgeschafft und sonst nichts geändert wird, so erhalten wir folgendes System:
Rein formal ist gegen diesen Vorschlag also nichts einzuwenden, und ich nehme an, daß Sie diesen formalen Aspekt im Sinn hatten, wenn Sie schreiben: »Die Bezeichnungen würden dann — was sie jetzt zweifellos noch nicht sind — geschlechtsneutral, weil es dann kein Geschlechtsparadigma mehr gäbe .« In der Tat, die oben abgebildete Konfiguration ist in den entscheidenden formalen Eigenschaften identisch mit unserem Muster an Symmetrie, den Körperteilbezeichnungen. Man vergleiche noch einmal:
Trotzdem gibt es schwerwiegende Gründe, weshalb dieser Vorschlag abzulehnen ist:
1. Maskulines Genus hat im Deutschen, wie wir alle wissen und wie in den Grafiken ausführlich abzulesen, bei Personenbezeichnungen geschlechtsspezifizierende Funktion, sei diese nun redundant (der Mann) oder nicht (der Angestellte). In diesem Punkt unterscheiden sich die Körperteilbezeichnungen mit ihren bedeutungsirrelevanten verschiedenen Genera (die Hand, der Arm, das Bein) grundsätzlich von den Personenbezeichnungen. Deshalb sind die beiden letzten Grafiken auch nur dann identisch zu nennen, wenn man sie aus ihren Funktionszusammenhängen herauslöst. Auch ein E hat in E-Dur eine völlig andere Funktion als in F-Dur.
Der Vorschlag kann also nur dazu führen, daß die alte, von Frauen angegriffene Praxis erhalten bleibt und noch verstärkt wird: Das Maskulinum legt die Referenz »männlich« nahe — je mehr grammatisch erforderliche Maskulina (er, sein, ihm, der, dessen, dem,...) in seinem Gefolge auftreten, um so mehr. Frauen werden sprachlich noch weiter unsichtbar gemacht.
2. Das Referieren auf Frauen wird noch mehr »Genus-Vergewaltigung« nötig machen als bisher. Sollen die Pronomina sich nach dem grammatischen Geschlecht (Maskulinum) oder nach dem natürlichen Geschlecht (weiblich) richten? Sollen wir sagen Unser (weiblicher) Ingenieur und ihr Mann oder... und sein Mann?
3. Es wird sich in unserer Welt der Männer schwerlich die Praxis durchsetzen (lassen), immer dann korrekt die attributive Spezifikation anzuwenden, also immer der männliche Student, die männlichen Rechtsanwälte zu sagen, wenn Männer gemeint sind. Vielmehr ist klar abzusehen, daß die Praxis sich weiter und nun noch verstärkt des folgenden asymmetrischen Systems
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