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Das Diamantenmädchen (German Edition)

Das Diamantenmädchen (German Edition)

Titel: Das Diamantenmädchen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ewald Arenz
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hörte – die hatte oben die Tür offen gelassen.
    »Lilli«, sagte Wilhelm und streckte die Hand aus, »bitte gib mir die Diamanten.«
    Lilli hielt inne und sah Wilhelm schockiert an.
    »Was?«
    »Gib mir die Diamanten, bitte«, wiederholte er mit ausgestreckter Hand.
    »Wilhelm!«, sagte Lilli jetzt entsetzt. »Das geht nicht! Paul gehören die gar nicht. Er hat sie … er hat sie zum Schleifen bekommen und …«
    »Ich weiß«, sagte Wilhelm ruhig. Noch immer hielt er die Hand nach dem Kästchen ausgestreckt. »Ich weiß das. Gib sie mir bitte.«
    »Was?« Lilli verstand erst gar nichts, aber dann rutschten die Dinge auf einmal an ihren Platz.
    »Du warst in Afrika, oder?«, fragte sie langsam und fuhr fort, ohne die Antwort abzuwarten. »Du warst in Afrika. Und du hast die Diamanten nach Deutschland gebracht, stimmt’s? Deshalb hat von Schubert Paul gewollt! Du hast ihn empfohlen, oder? Aber wieso hat er dann mich noch gefragt? Ich … ich bin doch bloß ein Mitwisser mehr! «
    Von oben hörte man wieder Gerda rumoren.
    »Bin in fünf Minuten fertig!«, schrie Lilli hinauf. Gerda murrte etwas, das man nicht verstehen konnte.
    »Sie ist immer noch wie früher«, sagte Wilhelm, deutete nach oben und verzog das Gesicht zu einem furchtbaren Grinsen. Lilli spürte so etwas wie einen Anflug von Angst vor ihrem eigenen Bruder.
    »Wilhelm«, fragte sie, »wozu habt ihr mich gebraucht?«
    Wilhelm zuckte mit den Schultern.
    »Paul hätte es nicht gemacht, wenn nicht du ihn gefragt hättest. Für niemand anderen. Er liebt dich immer noch.«
    Es war keine Frage. Es war eine Feststellung. Dann fuhr er fort:
    »Und ich bin tot. Für alle anderen bin ich tot. Von Schubert weiß nicht, wer ich bin. Keiner weiß es. Ich habe einen anderen Namen, und ich will, dass es so bleibt. Paul hätte mich wahrscheinlich erkannt. Aber Wilhelm Kornfeld ist tot. Gib mir jetzt die Diamanten, Lilli. Du wirst es sowieso tun. Erinnerst du dich? Ich bin immer stärker gewesen. Großer Bruder!« Er grinste wieder so schrecklich. Lilli wusste nicht, was sie tun sollte. Wenn er ihr das Kästchen wirklich wegnehmen wollte, konnte sie wirklich nichts machen. Gerda würde ihr nicht helfen können. Sie versuchte es mit Vernunft.
    »Wilhelm, das geht nicht! Sie müssen … Paul muss sie von Schubert wiedergeben.«
    Wilhelm war aufgestanden und sah Lilli an. Lilli stand auch auf. Wilhelm ging ein Stück ans Fenster hinüber, und die Zerstörung in seinem Gesicht war jetzt noch besser zu sehen.
    »Das hier«, sagte er langsam und legte beide Hände um die grotesken Wucherungen, das verschiedenfarbige Fleisch und die Narbenwülste, »das hier habe ich davon, dass ich für Deutschland gekämpft habe.« Er atmete jetzt schwer durch die Löcher, die seine Nase sein sollten. Kleine rosa Schaumflocken entstanden an den Rändern.
    »In Amerika«, sagte Wilhelm langsam, »da sollen sie jetzt Chirurgen haben, die wirklich Wunder tun können. Die kann aber niemand bezahlen. Lilli«, rasselte Wilhelm jetzt eindringlich, »die Diamanten gehören nicht Paul. Ich nehme sie doch niemandem weg. Deutschland!« Er machte eine verächtliche Handbewegung, an die Lilli sich erinnerte. Wie selbstsicher ihr Bruder damals gewesen war, wie selbstverständlich die Arroganz der Schönen und Klugen, die in dieser Handbewegung gelegen hatte.
    »Deutschland«, flüsterte er jetzt, »schuldet mir ein Gesicht. Gib mir die Diamanten, Lilli.«
    Lilli konnte nicht anders. Sie sah ihren Bruder mit seinem zerstörten Gesicht dort vor sich stehen, wo sie als Kinder zusammen Geschichten gehört hatten. In einer Zeit, die hell gewesen war, einer Zeit, in der alles noch heil und gut gewesen war, und sie konnte nicht anders. Sie streckte die Hand mit dem Kästchen aus und reichte es Wilhelm.
    »Danke, Schwester«, sagte Wilhelm heiser und guttural und wandte sich zum Gehen, »vielleicht, wenn ich ein neues Gesicht habe, sehen wir uns wieder.«
    »Wilhelm!«, rief Lilli, weil sie das noch wissen musste. »Was ist mit dem Schwarzen? Hast du ihn umgebracht? Warst du das? Sie sagen, Paul war es. Aber du warst doch in Afrika! Hast du ihn gekannt? Wilhelm! Hast du … hast du ihn umgebracht?«
    Wilhelm war stehen geblieben und sah sie an.
    »Woher weißt du davon?«, fragte er überrascht. Lilli zuckte mit den Schultern.
    »Ich kenne einen von der Polizei«, sagte sie.
    Sie sah, dass er zögerte. Sein Gesicht blieb die starre Schreckensmaske, aber es war ein Anflug von Mitleid in seiner Stimme, als er

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