Das Diamantenmädchen (German Edition)
antwortete Paul, »natürlich.«
Er trank einen Schluck und sah aus dem Fenster. Da war sie wieder, diese Fremdheit, mit der er aus dem Krieg gekommen war.
»Der Staatssekretär des Äußeren hat mich gebeten, dich mit ihm bekannt zu machen. Sie brauchen einen Diamantenschleifer.«
Paul hatte sich zu ihr umgedreht, und das erste Mal in dieser Stunde sah sie ein echtes Lächeln an ihm.
» Was brauchen sie?«, fragte er erheitert. »Wozu das denn?«
Lilli erläuterte kurz, was von Schubert ihr erzählt hatte. Paul spielte mit dem Zuckerlöffel, während er zuhörte. Auch so eine Gewohnheit, die Lilli gemocht hatte.
»Ich arbeite nicht mehr«, sagte Paul, als sie geendet hatte. Aber es war der Ton, den Lilli aus Interviews kannte, wenn jemand äußerte, dass er jetzt nichts mehr sagen wollte. Da schwang so eine Neugier mit, ein kleines Interesse.
Lilli lehnte sich gelassen zurück.
»Ich weiß. Und du musst ja nicht. Ich wollte nur fragen.«
Sie sah über seine Schulter hinweg in den herbstlichen Garten. Der Ahorn hatte begonnen, sich an den Seiten einzufärben. Rot und gelb leuchtete es um die im Inneren noch grüne Krone des schönen alten Baumes, und es war, als hätte sich der Herbst in diesem einen funkelnden Bild eingeschlossen.
»Was sind das für Diamanten?«, fragte Paul nun doch. Lilli unterdrückte ein Lächeln, als sie betont nachlässig mit den Schultern zuckte.
»Ich denke, er wird sie dir zeigen«, antwortete sie und dachte dabei, dass sie jetzt vielleicht doch – wie ein Wassertropfen – durch einen fast unsichtbaren Riss unter die Oberfläche gelangt war.
Als sie ging, begleitete er sie zur Tür. Gerda war nirgends zu sehen, aber man hörte Klappern aus der Küche. Paul half ihr in den leichten Mantel, mit einer Selbstverständlichkeit, die alle behauptete Galanterie ausschloss. Dann öffnete er die schwere Tür zur Freitreppe.
»Schön, dass du gekommen bist«, sagte er höflich, und Lilli wusste nicht, ob das, was sie darin hörte, nur in ihren Ohren klang.
»Auf bald«, sagte sie warm und reichte ihm wieder die Hand, »in der Schatzkammer des Deutschen Reichs.«
Da lachte er für einen Augenblick überrascht und unbeschwert, bevor er die Tür schloss, und Lilli ging mit leichteren Schritten zu ihrem Wagen, als sie gekommen war.
6
Schambacher stand neben Togotzes in der Charité und fröstelte, während er in Gedanken den Namen des Pathologen zu Anagrammen formte, die alle nicht passten. Omas Lob wäre schön gewesen, aber da war ein O zuviel. Oder Ambos, aber da hatte er ein L übrig. Obwohl eine freundliche Oktobersonne durch die Fenster schien und die Bogenlampen fast überflüssig machte, war es in der Pathologie kalt. Manche Kollegen lasen nur die Berichte, aber Togotzes und Schambacher fanden beide, dass Beschreibungen und Photos nicht dasselbe waren wie der Eindruck des leibhaftigen Ortes. Und die Leiche des Schwarzen war außerdem nicht annähernd so widerlich wie die Wasserleiche, die sie letztes Jahr aus dem Kanal gefischt hatten.
»Gefällt Ihnen nicht, was?«, missdeutete Lobsam, der Pathologe, Schambachers hochgezogene Schultern, während er seinen Gehilfen anwies, die Leiche auf den Bauch zu drehen.
»Blödsinn!«, antwortete Schambacher forsch. »Wir sind Leichen gewohnt, das wissen Sie doch. Sie haben es nur eiskalt hier drin. Und so ein bisschen gesunde Abhärtung schadet nicht.«
Lobsam sah von der Leiche auf und sagte belustigt:
»Gesunde Abhärtung? Sie sind ja ulkig. Hat Ihnen der Krieg nicht gereicht?«
Togotzes mischte sich ein:
»Na, das ist doch was ganz anderes!«
»Leiche ist Leiche«, sagte Lobsam gleichmütig. Der Gehilfe schob den Wagen mit dem Besteck um den Tisch herum in einen der Sonnenbalken, die schräg im Raum standen. Staub glitzerte in ihnen, das Metall glänzte. Der Saal hatte plötzlich etwas von einer Kirche.
»Ich will Ihnen mal was zur gesunden Abhärtung sagen«, meinte Lobsam dann im Gesprächston, während er vorsichtig eine Sonde dort einführte, wo Schambacher ein Einschussloch vermutet hatte, »Sie beide sind ja erst nach dem Krieg zum Alex gekommen, richtig?«
Togotzes und Schambacher nickten ergeben. Lobsam war dafür bekannt, dass er beim Sezieren gerne plauderte und darüber manchmal vergaß weiterzumachen. Andererseits hieß es im Präsidium auch, dass Lobsam nicht so leicht etwas entging. Berühmt war die Geschichte mit dem Nagelmord. Das war noch vor dem Krieg gewesen, aber sie wurde immer noch erzählt. Da hatte es
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