Das Diamantenmädchen (German Edition)
einer Klinge mit Flugrost. An einem Stolpern neben Straßenbahnschienen. An einer Sekunde, die er zu spät aus dem Paternoster getreten war.
»Wollnwa jehn?«, fragte er betont schnoddrig Togotzes. Der nickte.
»Wissen wir jetzt schon was?«, wandte er sich an Lobsam, der die Säge weggelegt hatte und einen weiteren Schnitt tat.
»Ja«, sagte der Pathologe und starrte interessiert in die Lungenflügel des Schwarzen, »der Mann ist ja ertrunken!«
»Was?«, fuhren Togotzes und Schambacher gleichzeitig herum. »Ertrunken?«
Lobsam sah sie eine Sekunde lang ernst an. Dann konnte er nicht mehr und grinste breit.
»Ulk, meine Herren!«, rief er vergnügt und ließ ein weiteres Metallstück in die Nierenschale fallen. »Dient der Abhärtung! Bleivergiftung. Reguläre und plötzliche Bleivergiftung! Freitag gegen Mitternacht. Spätestens um vier Uhr morgens. Allerspätestens.«
Schambacher war näher gekommen und sah neugierig in die Schale, in die Lobsam die Kugeln gegeben hatte. Mit Lobsams Geschichte im Ohr widerstand er der Versuchung, sie mit bloßen Händen herauszunehmen, aber er sah auch so, dass es keine Gewehrkugeln waren. Wäre auch ungewöhnlich gewesen. Aber dann entdeckte er in einer weiteren Schale etwas, das seine Aufmerksamkeit auf sich zog. Togotzes war näher an die Leiche herangetreten und Lobsam zeigte ihm, wo die Kugeln eingetreten waren. Schambacher nahm währenddessen das kleine Ding aus der Schale, hielt es ins Sonnenlicht und betrachtete es. Grün und fast durchsichtig schimmerte es, war wahrscheinlich aus einem Halbedelstein geschnitten und sah ein bisschen wie ein unten abgestumpftes Herz aus. Es hatte aber an der Unterseite ein winziges Loch, sodass es umgekehrt gehangen haben musste – nicht wie ein Herz. Durch das Loch war ein Zwirnsfaden gezogen, dessen Enden zerfranst waren – der Faden war gerissen.
»Was ist das?«, fragte er Lobsam, der eben das Skalpell beiseitelegte und sich zu ihm drehte.
»Ach das«, sagte der Pathologe, »das hing an einem Jackettknopf des Toten. Wenn es kein Glas ist, dann könnte es ein Smaragd sein, würde ich sagen.«
Schambacher drehte das grüne Stückchen in der Hand und sah sich die Kanten an. Sie waren geschliffen, also hatte es diese Form mit Absicht bekommen, aber er hatte keine Ahnung, was es darstellen sollte.
»Vielleicht irgendwas Afrikanisches«, sagte Togotzes, der näher gekommen war.
»Ja«, sagte Schambacher langsam, »oder es gehörte dem Mörder. Aber was ist das?«
Togotzes zuckte die Schultern. »Nimm’s mal mit, Fingerabdrücke können ja sowieso nicht drauf sein, ist viel zu klein.«
Schambacher holte eines der kleinen Zellophantütchen heraus, die er immer bei sich hatte, und steckte das kleine Schmuckstück hinein.
»Komm!«, sagte er dann zu Togotzes. »Ich gebe dir eine Molle aus.«
»Ihr Kriminaler habt’s gut!«, seufzte Lobsam. »Aber nur zu. Lasst den Herrgott einen guten Mann sein!«
Togotzes und Schambacher sahen sich an, lächelten beide gleichzeitig und waren froh, die Pathologie mit ihren Gerüchen verlassen zu können.
Es war über Mittag trotz des Herbstes so warm geworden, dass in jedem zweiten Haus die Fenster offen standen, um noch einmal Licht und Luft in die Häuser zu lassen, bevor die Dunkelheit des Winters allmählich in alle Höfe sickern würde. Zigarrenrauch wehte blau aus den Kneipen und über die Trottoirs. Unter den Linden lag, wo man hinsah, Laub auf der Chaussee, das von einer kleinen Brise nachlässig zu kleinen Haufen zusammengeblasen wurde. Es roch nach Kastanien und nach Benzin, nach Holzofenrauch und nach Kaffee aus der Siederei an der Ecke. Schambacher atmete tief ein und fühlte sich für einen Augenblick einfach zu Hause. Dies war seine Stadt. Es raschelte beim Gehen unter den Schuhen. Wartende Droschkenfahrer riefen sich gemütliche Gemeinheiten über die Straße zu. Die Stadt rauschte in diesem leichten Herbstwind und war so voller Leben wie nicht einmal im Sommer. Togotzes schien das auch zu spüren.
»Besser hier als da hinten, wa?«, fragte er in leichtem Ton, ohne eine Antwort zu erwarten. Schambacher nickte.
»Viel besser«, sagte er.
Eigentlich hatten sie sich nach einer Kneipe umsehen und Bier trinken wollen, aber als sie bei einer Konditorei vorbeikamen, die noch einmal die Stühle nach draußen gestellt hatte, lockten die Sonne und der Duft nach frischem Pflaumenkuchen sie auf einmal so sehr, dass sie sich kurz entschlossen setzten.
»So ist das im Herbst«, bemerkte
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