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Das Diamantenmädchen (German Edition)

Das Diamantenmädchen (German Edition)

Titel: Das Diamantenmädchen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ewald Arenz
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saßen mit Damen zusammen, die Bein und Dekolleté zeigten, tranken aus Gläsern mit überlangen Stielen Cocktails, rauchten aus überlangen Spitzen, lachten manchmal überlaut und schrill. Schambacher ging an den Tresen und bestellte einen Manhattan. Das klang nach Amerika und großer Welt. Der Cocktail kam, und Schambacher nahm einen Schluck. Angenehm brennend rann ihm der Alkohol in den Magen. Einen Augenblick lang überlegte er, wie er den Drink wohl angeben sollte. Das preußische Beamtenrecht kannte keine Cocktails – nur Bier konnte man dienstlich anrechnen lassen. Bier und Stullen. Schambacher grinste, als er sich in der mondänen Bar umsah. Hier wusste wahrscheinlich die Hälfte des Publikums nicht, was eine Stulle war. Gedankenverloren zog er die Hand mit dem kleinen Smaragd aus der Tasche, mit dem er immer wieder spielte. Er drehte ihn hin und her, während er ab und zu einen Schluck nahm und sich das flirrend bunte Spektakel in der Bar betrachtete. Da drüben war ein Kokainist, den er schon einmal auf dem Alex gesehen hatte. Er hatte sich den Pelz an der Garderobe nicht abnehmen lassen und musste wohl aller Welt zeigen, dass er sich Zobel leisten konnte. Ein paar Eintänzer, elegant und schlank im Frack, das Monokel im Auge wie Togotzes, die Haare glänzend glatt auf Scheitel gekämmt, standen in lockerer Gruppe gleich bei der Bühne und warteten darauf, dass die bessere Dame ihnen zu verstehen gab, sie möchten sie doch zum Tanzen auffordern. Schambacher wusste, dass er es seinem Beruf schuldete, sie nüchtern und kühl anzusehen, aber er konnte sie trotzdem nicht leiden. Die waren Soldaten gewesen, so wie er, und jetzt verkauften sie sich. Er wollte den Stein wieder in die Tasche stecken, aber er entglitt ihm und fiel auf den Boden. Er musste in die Knie gehen, um ihn im Halbdunkel der Bar wiederzufinden und blieb einen kleinen Augenblick fasziniert in dieser Stellung. Das war dieselbe Perspektive, die man so oft im Schützengraben gehabt hatte, aber hier war doch alles anders: Damenbeine in Seidenstrümpfen und Pumps, Herrenbeine in weich fallender, schwarzer Wolle, müde gelaufene Kellnerbeine in abgetretenen, abgestoßenen Schuhen. Beine. Wie bedeutungslos es war, ob da ein Paar fehlte oder nicht. Im Krieg … im Krieg, da war manchmal auf einen Schlag die Hälfte solcher Beine weg gewesen. Da war das eben einfach so gewesen. Er fand den Stein, hob ihn auf und richtete sich wieder auf. Wozu machte er das hier eigentlich? Er hatte so viele Tote gesehen. Einen Augenblick lang blieb dieser Gedanke hängen, dann schüttelte er ärgerlich den Kopf und griff trotzig nach dem Glas. Er hätte vorher etwas essen sollen. Der Whiskey machte ihn ganz kirre. Die Musik hörte auf, die Menschen hörten auf zu tanzen und Beifall rauschte auf; kurz nur, bevor ihn das erregte, leichte und fröhliche Gelärme der Unterhaltung verschluckte. Die Musiker gingen von der Bühne. Nur der Klavierspieler blieb und begann leise einen Schlager zu spielen, damit die Leute in der Pause nicht gingen. Schambacher stellte sein Glas zurück, begann, sich durch die Menge nach hinten zur Bühne zu schieben und musste auf einmal über sich selbst lächeln, lachte sogar leise. Hatte er nicht eben noch alles infrage gestellt? War er nicht eben noch Nihilist gewesen? Und jetzt, nicht einmal eine Minute später, war er wie elektrisiert, wieder auf der Jagd, mit allen Sinnen und voller Lust einer Spur nachhetzend wie ein von der Leine gelassener Hund.
    »Tut mir leid, nur für Personal«, sagte einer der Kellner, als er Schambacher an der Bühnentür sah.
    »Darf ich trotzdem mal eben?«, fragte Schambacher und zeigte seinen Ausweis. Der Kellner zögerte einen Augenblick, wohl, weil er nicht wusste, worum es ging.
    »Ich hole besser den Chef«, sagte er dann.
    Schambacher lächelte ihn gewinnend an.
    »Sehen Sie sich mal um«, sagte er, »ich bin allein. Das hier wird keine Razzia. Ich will bloß kurz mit den Musikern sprechen.«
    Der Kellner wirkte erleichtert.
    »Na, sagen Sie’s doch gleich. Das können Sie auch ohne Ausweis. Aber Englisch werden Sie brauchen, die können alle kein Deutsch. Zweite Tür rechts, da sind die Garderoben.«
    Er öffnete Schambacher sogar die Tür. Schambacher ging den Gang entlang bis zur Garderobe, klopfte und trat ein, ohne die Antwort abzuwarten. Es war laut und verraucht. Die Musiker saßen um einen großen Tisch herum. Die meisten aßen und unterhielten sich dabei, sämtlich hatten sie Bier vor sich

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