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Das Diamantenmädchen (German Edition)

Das Diamantenmädchen (German Edition)

Titel: Das Diamantenmädchen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ewald Arenz
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Stumpen. Es roch nach Schweiß und Talkum. Die Luft war zum Schneiden. Schambacher wusste nicht genau, wonach er suchte. Er stöberte nur so. Sah sich die Bilder und die Zeitungsausschnitte an, die in die Spiegel geklemmt waren, meist Besprechungen aus anderen Städten. Aber da gab es auch aus der Vossischen eine Kritik des neuen Bühnenprogramms im Papagei . Und gleich daneben ein Bild aus der B.I. Außer der Illustrirten brachte ja fast keine Zeitung Bilder. Schambacher zog es aus dem Rahmen und sah es sich genauer an. Da war die ganze Kapelle zu sehen, und darunter die Bildunterschrift: »Neu in Berlin: Die Sophomores !« Schambacher sah sich das Bild genau an, konnte aber nicht erkennen, ob der Trommler sein Toter war. Der Druck war einfach nicht gut genug. Er überlegte kurz, aber dann faltete er den Ausschnitt und legte ihn sorgfältig in seine Brieftasche. Er ging weiter die Spiegel entlang, nahm hier eine Jacke auf und drehte dort eine Mütze um. Es war ein zielloses Suchen. Vielleicht war es auch mehr, um dem Ermordeten Gewicht zu geben; wenn man das erste Mal sah, wo er gelebt, was er gegessen, mit wem er Umgang gehabt hatte, dann begann ein Toter allmählich eine Person zu werden, die tatsächlich einmal gelebt hatte. Vielleicht war es deshalb so leicht, im Krieg zu töten, streifte ihn ein flüchtiger Gedanke, weil der andere so gar nicht wie ein Mensch ist, der atmet und isst und schläft und liebt und lebt. Wilhelm M’banga, dachte Schambacher, mit wem warst du im Streit, wen hast du geliebt, was hast du getan, dass man dich erschossen hat? Er stand jetzt in der Mitte der Garderobe und drehte sich langsam um sich selbst, nahm noch einmal alles möglichst genau wahr, aber er konnte nichts mehr finden, was seine Aufmerksamkeit erregte. Rasch verließ er den Raum und machte sich auf den Weg zurück in die Bar, um den Geschäftsführer zu suchen. Dort sagte man ihm jedoch, dass der an diesem Abend gar nicht da sei und er doch bitte morgen einfach antelephonieren solle, aber nicht vor elf Uhr Vormittag. Schambacher zahlte seinen Drink, drängte sich an den Tanzenden vorbei, holte an der Garderobe Mantel und Hut und trat auf die Straße. Es hatte aufgehört zu regnen, aber alles war noch nass und von den Straßenlaternen tropfte es noch. Der Gong vom Ampelturm zeigte an, dass sie gleich umspringen würde. Ein Omnibus rauschte durch die Pfützen. »Berlin raucht Manoli!« stand auf der Seite. Eine Droschke mit einem müden Gaul davor klapperte schräg über den Potsdamer Platz. Von den Häusern leuchteten kühl und bunt die Reklamen. Ihre Spiegelungen auf der Straße zitterten unsicher, als würden sie jeden Augenblick verschwinden. Nacht in Berlin, dachte Schambacher und fühlte sich auf einmal sehr müde. Zeit, nach Hause zu gehen.

11
    Lilli hatte eine schlechte Nacht hinter sich. Sie hatte von Wilhelm geträumt. Das war länger nicht mehr vorgekommen, und es war kein schöner Traum gewesen. Sie war durch wirre Bilder von einem Schlachtfeld mitten in Berlin gestolpert. Überall war Nebel gewesen, der auf seltsame Weise gleichzeitig aus Gas und Pulverrauch bestand und in dem alle Gesichter nur schemenhaft zu erkennen gewesen waren. Auch Wilhelm hatte anders ausgesehen, ganz fremd. Er hatte sie durch die Straßen gezogen, hektisch, wie auf der Flucht, und immer wieder gesagt: »Ich bin’s doch, Wilhelm«, aber sie hatte nicht gewagt, ihn anzusehen, weil sie Angst gehabt hatte, er sei vielleicht verwundet oder, noch schlimmer, er sei doch gar nicht ihr Bruder. Mitten in der Flucht war sie dann aufgewacht und ihr Kissen war tränennass gewesen – dieses hoffnungslose Gefühl hatte sie seit Jahren nicht mehr gehabt. Seit sieben Jahren waren Krieg und Revolution jetzt vorbei, aber in solchen Nächten erschienen sie so nah, dass man Angst bekam. Sie hatte diesen Traum in großen Abständen immer wieder, und immer erinnerte er sie an den Tag, als sie in die Schießerei Unter den Linden geraten war. Es war März 1919 gewesen. Hektische, angstvolle, aufgeregte Tage mitten im Spartakusaufstand. Es gab keine Busse und keine Straßenbahnen. Die Fahrer weigerten sich, durch Straßen zu fahren, in denen sie womöglich mit Maschinengewehren beschossen wurden, in denen ihre Bahnen aufgehalten und von den Linken zu Barrikaden umfunktioniert wurden. Sie war auf dem Weg zur Universität gewesen, mit dem Fahrrad, als sie plötzlich irgendwie zwischen die Fronten geraten war.
    »Runter von der Straße, Frollein!«, hatte

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