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Das Diamantenmädchen (German Edition)

Das Diamantenmädchen (German Edition)

Titel: Das Diamantenmädchen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ewald Arenz
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füllten den Raum. Sie war noch nicht lange bei den Programmkonferenzen dabei, und sie wusste auch nicht genau, wie sie zu dieser Ehre kam, dass ihr Chef sie stellvertretend hinschickte, ohne dass sie wirklich Stellvertreterin war. Aber das war eben eine der großartigen Sachen bei Ullstein – man musste nicht unbedingt schon zwanzig Jahre im Geschäft sein, bis man vom Chef bemerkt wurde. Trotzdem hatte sie sich natürlich noch nie zu Wort gemeldet. Sie kannte ihren Platz. Durch die Tür auf der anderen Seite kam jetzt Ehm Welk und lächelte ihr zu. Sie lächelte zurück. Welk war sehr nett, und sie hätte nichts dagegen gehabt, zu ihm zur Grünen Post zu wechseln. Es hieß, dass es sich da sehr schön arbeitete. Aber die Illustrirte schien ihr trotz aller Hektik noch die spannendere Zeitschrift zu sein. Einmal war sogar Tucholsky da gewesen, aber sie hatte sich nicht getraut, ihn anzusprechen, obwohl Rheinsberg das Lieblingsbuch ihrer Backfischzeit war. Er hatte sehr streng ausgesehen und gar nicht so, wie sie sich den Verfasser des romantischsten aller Bücher vorgestellt hatte. Na ja, dachte sie selbstironisch, Rheinsberg war wahrscheinlich auch für zehntausend andere Berliner Mädchen das ABC der ersten Liebe gewesen. Auch nicht schön für einen Autor, immer nur auf seinen Erstling angesprochen zu werden, überlegte sie.
    Frau Kirschner, die strenge, uralte Chefsekretärin betrat den Raum, schloss die schwer gepolsterte Tür und setzte sich mit ihrem Stenoblock rechts neben den Sessel des Chefs. Das war das Zeichen für alle, sich nach und nach zu ihren Plätzen zu begeben, denn jetzt kam gleich der Chef. Lilli setzte sich, legte ihren Block bereit, schloss für einen Moment die Augen und atmete tief durch. Alles würde sich klären, sagte sie sich, man musste nur Ruhe bewahren. Dann betrat endlich Louis Ullstein den Raum, sagte sehr leise »Guten Tag«, ohne die Augen zu heben, und damit begann die Konferenz.

17
    Es war ein klirrend kalter, strahlend heller Januarmorgen im Jahr 1918, an dem Lilli am Bahnhof Zoo die Treppen zum Bahnsteig 2 hochstieg, um auf den Zug aus Ypern zu warten. Die Leute sahen sie manchmal ein bisschen amüsiert an, wie sie da ankam, drei Paar Schlittschuhe zusammengebunden über der Schulter, die Hände im Muff und eine Pelzmütze auf dem Kopf.
    »Ein ganz entzückendes Persönchen«, hatte Papa lächelnd gesagt, als sie aus dem Haus gegangen war, »unsere Lilli wird eine junge Dame.«
    Lilli ging ein Stück den Bahnsteig entlang, bis sie in der Sonne stehen konnte. Ihr Atem dampfte in der Luft so weiß wie der Rauch der Lokomotiven, die an den anderen Bahnsteigen warteten. Der Lärm war ungeheuerlich. Überall schoben sich Dienstleute mit ihren hölzernen Karren über die Perrons. Säuglinge in hochrädrigen Kinderwagen schrien, die Ankündigungen der Schaffner, ihr schrilles Trillern zur Abfahrt, die heiseren Pfiffe der Lokomotiven, das Krachen der eisernen Türen, Abschiedsrufe, Befehle von Offizieren, die ihre Mannschaften in die Züge dirigierten und schließlich das allgegenwärtige Rauschen von hundert Gesprächen ließen die Luft sirren und gaben Lilli ein Gefühl hochgespannter Nervosität, obwohl sie sich doch eigentlich freute.
    »Ankommen Freitag 9.44 Uhr Bahnhof Zoo. Schlittschuhe mitbringen!«, hatten Wilhelm und Paul telegraphiert, und Papa hatte geschimpft, weil sie keine Feldpostkarte geschickt hatten, denn die hätte es doch auch getan.
    »Als ob das Geld auf Bäumen wächst!«, hatte er grummelnd gesagt. Lilli hatte gar nichts erwidert, aber sie wäre dem Boten fast um den Hals gefallen, als der das Telegramm gebracht hatte. Wilhelm hatte seit einem halben Jahr keinen Fronturlaub gehabt, Paul noch länger nicht, und sie hatte so gehofft, dass die beiden wenigstens an Weihnachten zu Hause sein würden. Es war ein trauriges Weihnachten gewesen, bei van der Laans genauso wie bei ihnen. Aber nun kamen sogar beide. Lilli hatte sich so gefreut, und Papa redete nur über Geld. Als kleines Mädchen hatte sie geglaubt, dass Papa in seiner Bank alles Geld machte und es mit nach Hause brachte. Heute musste sie darüber lächeln, weil sie wusste, dass auch Banken bank-
rottgehen konnten, aber sie waren ja bestimmt nicht so arm, dass Wilhelm sich kein Telegramm leisten konnte. Und, wer weiß, eine Feldpostkarte wäre vielleicht nicht rechtzeitig angekommen.
    »Schlittschuhe!«, hatte Papa dann noch gesagt und die Augenbrauen hochgezogen. »Was für ein Blödsinn!«
    »Aber

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