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Das Diamantenmädchen (German Edition)

Das Diamantenmädchen (German Edition)

Titel: Das Diamantenmädchen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ewald Arenz
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voll hier. Sie konnten sie bloß nicht sehen. Mittlerweile war sie bei der Lokomotive angekommen. Oben lehnte der Heizer aus seinem Fensterchen und rauchte eine Zigarette, die mit Zeitungspapier gedreht war.
    »Na, Frollein«, rief er gemütlich zu ihr herunter, »heute noch uff’s Eise? Darf man mitkommen?«
    Sie lächelte kurz und unsicher zu ihm hinauf.
    »Nee, ich warte auf meinen Bruder.«
    »Dann haste da aber ’n Paar Schlittschuhe zu ville. Willste mir nich doch mitnehm?«, scherzte der Mann weiter. Er war schwarz im Gesicht von Kohlenstaub, aber er lächelte freundlich. Lilli lächelte nervös zurück, aber in diesem Augenblick fühlte sie sich hochgehoben und herumgeschleudert, sah Paul und spürte Wilhelms Arme um sich und war so froh, dass ihre Knie sich ganz zittrig und schwach anfühlten, als Wilhelm sie wieder hinstellte.
    »Lilli!«, rief Wilhelm. »Mädchen! Endlich!«
    Wilhelm lachte, aber Paul sah trotz seines Lächelns ernst aus und sie fühlte auf einmal eine eigenartige Fremdheit ihm gegenüber. Sie zog die Hand aus dem Muff und streckte sie aus:
    »Guten Tag, Paul«, sagte sie, »ich bin so froh, dass ihr nicht verwundet seid. Ich habe … vorhin war da …« Sie sprach nicht zu Ende, weil ganz unerwartet plötzlich ein Schluchzen in ihrem Hals aufstieg, das sie sich gar nicht erklären konnte, es war doch alles gut.
    Paul warf einen kurzen Blick über die Schulter zum Lazarettwaggon und verstand.
    »Wir haben dir doch versprochen, heil und gesund wiederzukommen«, lächelte er zurückhaltend. Lilli nickte nur. Dann nahm sie die Schlittschuhe von der Schulter und reichte jedem ein Paar.
    »Ihr seid so albern!«, sagte sie und wischte sich unauffällig die Augen. »Schlittschuhe! Alle Leute haben mich angesehen!«
    Wilhelm fuhr mit dem Daumen über die Kufen.
    »Weißt du«, erzählte er, »als wir beide so an Weihnachten im Unterstand waren und es hat die ganze Zeit nur gekracht und wir durften nicht raus, da haben wir uns ausgemalt, wie es früher immer war, wenn wir in den Weihnachtsferien auf dem Fischtalweiher Schlittschuh gelaufen sind. Und da haben wir uns geschworen, dass wir das als allererstes machen, wenn wir in diesem Winter noch mal Fronturlaub kriegen.«
    Paul nickte.
    »So ist es«, sagte er mit übertriebenem Ernst, »Schwüre muss man halten. Wollen wir?«
    Sie nahmen Lilli in die Mitte. Ihre Tornister hatten sie sich über die Schulter geworfen. Zur Westeisbahn war es ja nicht weit, sie lag direkt neben dem Bahnhof.
    »Kalt habt ihr es hier!«, sagte Wilhelm, als sie aus dem Bahnhof kamen. »Fast so kalt wie bei uns an der Front.«
    Paul lachte, aber es hörte sich für Lilli nicht unbeschwert an. Er wirkte, als sei er noch gar nicht angekommen.
    »Wilhelm will nach dem Krieg nach Afrika«, erklärte er, »er sagt, er kann keinen Schnee mehr sehen.«
    »Wirklich?«, fragte Lilli etwas erschrocken.
    Wilhelm nickte.
    »Ja«, sagte er bestimmt, »ich gehe in die Kolonien. Ich wollte immer nach Afrika, aber wenn der Krieg vorbei ist, dann gehe ich bestimmt. Deutschland hat keine Zukunft, das ist längst vorbei. Wir verlieren diesen Krieg.«
    »Wilhelm!« Lilli war nun ernsthaft erschrocken. »Das stimmt doch nicht. Du … vielleicht ist es bei euch gerade nicht so … also, es gibt doch immer Verluste, aber wir siegen schon noch.«
    Sie sah zu Paul hin, aber wenn sie Hilfe erwartet hatte, dann wurde sie jetzt noch mehr enttäuscht. Paul sah nach unten.
    »Wilhelm hat recht«, sagte er leise, »wir werden nicht mehr gewinnen.«
    Lilli antwortete nicht. Eigentlich war sie empört, dass die beiden so dachten, aber andererseits wollte sie keinen Streit beginnen. Ein unangenehmes Schweigen war auf einmal zwischen ihnen. Lilli hatte sich doch so gefreut! Sie waren am Eingang der Westeisbahn angelangt.
    Das Eis glitzerte und blendete in der Januarsonne. Die Luft war kalt und klar, eigentlich war es ein Vergnügen, draußen zu sein. Rasch zogen sie die Schlittschuhe an und glitten hinaus. Wilhelm und Paul waren anfangs noch etwas unsicher auf dem Eis, aber das gab sich schnell, und sie kamen auf Lilli zu, nahmen sie in die Mitte, und mit verschränkten Armen fuhren sie zu dritt in großen Schwüngen über die Eisfläche. Ein paar wenige ältere Herren hatten die Arme auf dem Rücken und zogen recht bieder immer im Kreis.
    »Schneller«, sagte Lilli nach einer Weile atemlos, und sie fingen an, richtig flott zu laufen, immer noch in ihrer Dreierkette, wie sie es als Kinder so oft getan

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