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Das Diamantenmädchen (German Edition)

Das Diamantenmädchen (German Edition)

Titel: Das Diamantenmädchen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ewald Arenz
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Sie stand auf und sah auf die dunklen Tunnelwände. Es kam ihr vor, als brauche der Zug ewig bis zum nächsten Halt. Plötzlich überrollte sie eine Woge der Wut. Was war das für ein widerlicher Mensch? Was für ein Schwein war so einer, der anderen Menschen solche Angst machte mit seinem zerstörten Gesicht, mit diesem grauenvollen Gesicht, das gar keins mehr war? Warum versteckte sich so einer nicht? Ihr wurde heiß, und sie spürte, wie ihr Gesicht brannte.
    Als der Zug an der Station Stadtmitte hielt, öffnete sie die Tür, noch bevor der Waggon zum Stehen gekommen war und sprang auf den Bahnsteig. Dann drängte sie sich eilig zwischen den wartenden Menschen hindurch, hinüber zum Mäusetunnel, hastete durch den langen, stickigen Übergang und auf der anderen Seite nach oben, bis sie endlich auf der Friedrichstraße war. Sie überlegte kurz, ob sie Paul vom Ullsteinhaus aus anrufen sollte, aber als sie auf der anderen Straßenseite das vertraute Blau eines freien öffentlichen Fernsprechers sah, beschloss sie, ihn sofort anzurufen. Je eher er wusste, dass in ihrem alten Haus jemand war, desto besser. Außerdem musste sie eine vertraute Stimme hören. Sie hatte ihre Tasche vor der Brust und kramte nach Kleingeld, während sie darauf wartete, hinübergehen zu können. Eine Demonstration von Arbeiterfrauen schob sich eben die Straße entlang. Hinter den Demonstrantinnen stauten sich eine Schlange hupender Autos und ein wütend klingelnder Omnibus. Ein paar SA-Leute hatten sich zusammengerottet, standen auch am Straßenrand und schrien Beleidigungen, die aber niemand verstand, weil die Arbeiterinnen im Chor ihre Forderungen skandierten. »Rote Studenten für Geistesfreiheit!« stand auf einem Banner, auf einem anderen »AFÜ-Arbeiterinnen der Gasanstalt«. Trotz ihrer Nervosität fragte sich Lilli, was das sollte. Wieso schrieben sie nicht ihre Forderungen auf die Banner statt ihre Adressen. Es gab keine Lücke in diesem Menschenwurm, der sich die Straße entlangwand. Sie überlegte, ob sie zurück zur U-Bahn und unter der Straße durch sollte, aber das wäre ein riesiger Umweg gewesen. Schließlich ging sie einfach auf die Straße und versuchte, sich durch die Arbeiterinnen zu drängen, die sie feindselig anzischten, die ihr bewusst keinen Platz machten, die sie manchmal sogar unverhohlen pufften oder stießen. Ich bin einfach zu elegant gekleidet, dachte sie spöttisch.
    Endlich war sie auf der anderen Seite angelangt und steuerte den Fernsprecher an. Sie hatte den Hörer schon abgehoben, als sie merkte, dass sie Pauls Nummer vergessen hatte. Sie hatte sonst ein gutes Gedächtnis für Zahlen, aber jetzt wollte sie ihr partout nicht einfallen. Wütend drückte sie die Gabel und wählte die Vermittlung. Wenn das nur nicht immer so lang dauern würde.
    »Paul van der Laan, bitte«, sagte sie hastig, als sich das Telephonfräulein meldete, »Zehlendorf, die Nummer weiß ich nicht.«
    »Einen Augenblick bitte«, erwiderte die geschäftsmäßige Stimme, der man aber dennoch einen ganz leichten sächsischen Akzent anmerkte. Dann hörte sie, wie das Fräulein im Verzeichnis blätterte und schließlich sagte:
    »Ich verbinde.«
    Das Telephon tutete. Zu ihrer Überraschung meldete sich gleich Paul und nicht Gerda, die sonst immer ans Telephon ging.
    »Paul«, sagte sie hastig und ohne Begrüßung, »ich muss dir etwas sagen. Ich hab dir doch … hab ich dir schon mal von dem Mann erzählt, der …«
    Paul unterbrach sie sehr bestimmt.
    »Lilli«, sagte er fast ebenso hastig wie sie, »gut, dass du anrufst. Haben die Polizisten mit dir geredet?«
    Lilli war einen Augenblick völlig durcheinander.
    »Welche Polizisten?«, fragte sie verständnislos.
    »Hier waren zwei Polizisten«, sagte Paul, »kurz, nachdem du gegangen bist. Sie wollten … sie denken, dass ich …«
    Er stockte.
    »Was?«, fragte Lilli nach.
    Paul erklärte ihr kurz, dass die zwei ihn mehr oder weniger verdächtigten, den Mord an einem Mann begangen zu haben, der offensichtlich auch mit Diamanten gehandelt hatte.
    »Das Problem ist«, schloss er hastig, »dass ich für den Abend, an dem das passiert sein muss, kein Alibi habe. Ich war hier, aber Gerda hatte ihren freien Abend, und deshalb gibt es niemanden, der das bezeugen kann.«
    Er sagte nichts weiter, aber Lilli hatte ihn schon verstanden. Sie dachte rasch nach.
    »Wann war das denn genau?«
    Paul nannte ihr den Tag. Sie kramte ihr Notizbuch aus der Handtasche. Sie war immer noch so nervös, dass ihr

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