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Das Diamantenmädchen (German Edition)

Das Diamantenmädchen (German Edition)

Titel: Das Diamantenmädchen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ewald Arenz
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»Natürlich verstehe ich. Was für eine Binsenweisheit, dass Mörder nicht immer aussehen wie Mörder. Aber es ist ja nicht nur das Aussehen. Ich kenne ihn mein ganzes Leben lang.«
    Sie merkte, dass sie zitterte und nahm die Hände vom Tisch in ihren Schoß. Schambacher sah das, und er schwieg kurz. Dann sah er auf und sagte leise:
    »Fräulein Kornfeld, Sie dürfen mir nicht böse sein … verstehen Sie, ich will Ihnen nicht Ihren Paul aus Kinderzeiten wegnehmen. Aber es ist so …«, wieder machte er eine kleine Pause, dann holte er tief Luft und fuhr fort: »Ich war auch im Krieg, Fräulein Kornfeld. Ich habe da Dinge gesehen … Männer verändern sich da. Wir alle. Keiner ist da herausgekommen, wie er hineingegangen ist. Er wird es Ihnen nicht erzählt haben, weil er gewusst hat, dass es Ihnen nicht gefallen wird. Aber Ihr sanfter Paul wird dort genauso getötet haben wie wir alle. Er wird Leute erschossen haben und andere mit dem Seitengewehr erstochen oder sie mit dem Kolben erschlagen haben. Das erzählen wir nicht«, sagte Schambacher jetzt fast wütend, »wir reden nicht einmal miteinander darüber. Aber keiner von uns wäre zurückgekommen, wenn wir nicht getötet hätten.«
    Er merkte, dass er jetzt auch aufgeregt war. Er hatte wirklich mit niemandem über diese Dinge gesprochen, seit er aus dem Krieg zurück war.
    »Das Schlimmste ist«, er merkte, dass er innerlich jetzt auch zitterte, aber nun war er schon so weit gegangen, dass er nicht mehr zurück konnte. Lilli sah ihn an, und er vermochte ihren Gesichtsausdruck nicht zu deuten.
    »Das Schlimmste ist«, und bei der Erinnerung fing sein Gesicht vor Scham an zu brennen, »dass es einem irgendwann nichts mehr ausmacht. Dass man lacht, wenn man einen genau getroffen hat. Dass es …«, sagte er zum Schluss so leise, dass Lilli sich vorbeugen musste, um ihn zu verstehen, »dass einem das Töten irgendwann Spaß macht.«
    Er lehnte sich zurück. Es war, als sei ihm kalt. Er nahm das Glas, nur um seinen Händen etwas zu tun zu geben. Wieso erzählte er ihr das alles?
    Lilli Kornfeld blickte ihn an. Dann veränderte sich ihr Gesicht auf einmal.
    »Sie …«, sie machte eine Handbewegung zu seinem Gesicht hin. »Sie bluten«, sagte sie sanft.
    Schambacher nahm den Champagnercocktail vom Mund und sah, dass sich ein roter Tropfen wie eine Wolke darin auflöste. Erschrocken fasste er sich an die Nase. Sein Gesicht war ganz nass. Schnell nahm er die Serviette, die Lilli ihm reichte und stand auf, das Tuch vor die Nase gepresst.
    »Entschuldigen Sie«, murmelte er dumpf in das Leinen und verschwand zu den Toiletten.
    Lilli sah ihm nach. Und eine Sekunde lang wäre sie am liebsten einfach aufgestanden und gegangen. Nicht, weil er das alles über Paul gesagt hatte, sondern deshalb, weil sie – wie als kleines Mädchen – lieber weggerannt wäre, als die Wahrheit zu hören. Sie hatte einmal – da war sie wirklich noch ziemlich klein gewesen – aus Langeweile und ohne nachzudenken und aus einer Laune heraus mit einem Stein nach ihrer Lieblingskatze geworfen und sie völlig unerwartet getroffen. Und obwohl ihre Mutter sie von der Küche aus gesehen hatte, leugnete sie später immer und immer wieder und wurde schließlich, weil sie so verstockt war, vom Vater verhauen. Es war aber nicht die Angst vor der Strafe gewesen. Die Katze hatte durch den Wurf ein Auge verloren, und Lilli war darüber so entsetzt gewesen, dass sie die Wahrheit einfach hatte leugnen müssen.
    So saß sie jetzt auch da. Konnte es wahr sein? Sie hatte Paul ja nach dem Krieg nur wenige Male gesehen. Und er war wirklich anders geworden. Was wusste sie denn tatsächlich von diesem neuen Paul, außer, dass sie ihn geliebt hatte? Machte man sich nicht immer ein Bild vom anderen, wenn man liebte? Vom Klavier kam jetzt Regentag . Melancholisch tropften die Töne, und Lilli drehte ihr Glas in der Hand.
    Schambacher kam zurück. Er hatte sich das Gesicht gewaschen, und die Haare waren noch ein wenig feucht. Er sah jetzt ein bisschen aus wie ein Junge, fand Lilli. Sie wollte eigentlich böse auf ihn sein, aber nachdem er sich ihr so geöffnet hatte, nachdem sie ihn so schwach gesehen hatte, konnte sie es nicht.
    »Es kommt vom Gas«, sagte Schambacher mit einem kleinen, entschuldigenden Lächeln, als er sich setzte. Er deutete auf seine Nase: »Irgendwie ist die Haut innen dünner geworden. Und wenn ich mich aufrege …« Er ließ den Satz unvollendet.
    Lilli nickte. Sie schwiegen eine ganze Zeit lang.

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