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Das Diamantenmädchen (German Edition)

Das Diamantenmädchen (German Edition)

Titel: Das Diamantenmädchen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ewald Arenz
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verblendet von alter Liebe, überlegte sie verunsichert. Paul, dachte sie in einer Welle verzweifelter Traurigkeit wie von etwas, das auf immer verloren gegangen ist, ach Paul!, und es fiel ihr schwer, die Tränen zu unterdrücken, die ihr auf einmal die Sicht nahmen.
    Sie musste am Halleschen Tor umsteigen, und es war ganz gut, dass es bis zur Haltestelle Naturkundemuseum ein paar weitere Stationen waren. So hatte sie Gelegenheit, sich ein bisschen zu beruhigen. Es regnete noch immer, als sie zur Chausseestraße hochstieg und dann in die Invalidenstraße abbog. Die Gebäude der Ministerien ragten in den schweren Himmel; die Dächer verschwammen im Regengrau. Zwischen den leeren Ästen der großen Linden vor dem Naturkundemuseum hing – ein Bild unsagbarer Traurigkeit – der feine Regendunst dieses Tages. Es war ein Tag, an dem man innerlich gar nicht richtig warm werden konnte, dachte Lilli und lief schnell die Treppen zum Eingang hoch. Als sie die sehr hohe, schwere Tür aufgestoßen hatte und in die Vorhalle trat, merkte sie erst, wie laut es draußen gewesen war. Hier drinnen hörte man nichts vom Regen und nichts vom Verkehr und dem Rauschen der Stadt. Es war ein wenig so, als hätte sich die Stille in diesen hohen Räumen über Nacht angesammelt. Sogar der Hall ihrer Absätze auf dem Steinboden verlor sich schnell.
    Das Museum war um diese Zeit fast leer. Zwei weißbärtige Professoren mit schwarz gebundenen Büchern unter dem Arm stiegen eben ins Gespräch vertieft in den ersten Stock, eine junge, ernst aussehende Kunststudentin mit ihrer Staffelei ging zielstrebig in den Saal mit den Schmetterlingen, ein älteres Ehepaar mit Stadtplan und Reiseführer in der Hand kam gerade heraus. Mehr Besucher gab es nicht. Sie zahlte und ging ins Foyer. Es war menschenleer. Ein ungeheures Walskelett war in der Mitte aufgebaut und wirkte in der kirchengroßen Halle doch gar nicht so gewaltig. Rings um das Foyer liefen die Galerien der vier Stockwerke, hoch über ihr wölbte sich das Glasdach, aber der Regen auf ihm war nicht zu hören. Die Stille und die Größe des Raumes taten ihr gut. Man konnte auf einmal besser denken. So, als ob die Gedanken plötzlich mehr Platz hätten und man sie klarer voneinander trennen konnte. Ein ausgestopfter Elefant stand am anderen Ende des Raumes, wirkte gegen das Wal-
skelett klein und sah Lilli nachdenklich an. Hier, dachte sie, während sie den Elefanten betrachtete, ist alles schon vorbei. Alles ist Geschichte. Nichts ist mehr wichtig. Der ganze Betrieb unseres Lebens, unsere Ängste, Wünsche und Sehnsüchte – hier ist das alles nichts als ein bisschen Lärm, der von draußen hereindringt, wenn sich die Türen öffnen. Und wenn sie sich eine Sekunde oder ein Menschenleben später schließen, ist es schon wieder still. Auf seltsame Weise war das ein tröstlicher Gedanke. Sie ging um das Walskelett herum, und dann sah sie Paul auf der gegenüberliegenden Seite am Eingang zur tropischen Ausstellung stehen.
    »Hallo Lilli«, sagte er leise.
    »Hallo Paul«, antwortete sie. Er sah blass und nervös und kein bisschen wie ein Mörder aus. Aber, mein Gott, dachte sie, all die Soldaten mit ihren Kindergesichtern, die hatten auch nicht ausgesehen wie Mörder und trotzdem in Belgien oder in Flandern ganze Dörfer niedergebrannt. Warum war die Welt so?
    »Wollen wir hier hinein?«, fragte Paul und hielt ihr die Tür auf.
    Lilli nickte und ging voran. Paul folgte ihr. Im Gegensatz zur Mittelhalle war der Saal dämmrig, und die hohe Decke war kaum zu erkennen. Es roch nach altem Nussbaumholz, ein dunkler, beruhigender Geruch. Aus den hohen Glasvitrinen leuchteten bunt und fremd tropische Welten. Riesige präparierte Libellen schwebten bewegungslos in der Luft zwischen mannsgroßen Farnen, grüngolden schillernde, faustgroße Käfer schienen über fruchtbaren Urwaldboden zu kriechen, und leuchtend smaragdgrüne Salamander lauerten hinter tellergroßen, tiefroten Blüten. Sie sah Paul an, der neben ihr stand und auch in die Vitrine schaute. Fremd oder vertraut? Sie wusste es nicht mehr.
    »Warum hast du der Polizei nicht einfach gesagt, dass du zu Hause warst?«, fragte sie unvermittelt. »Wozu ein Alibi? Du hast alles so kompliziert gemacht!«
    Paul antwortete nicht gleich. Er sah auf den Salamander, und dann sagte er:
    »Sie hätten mir nicht geglaubt. Sie haben ein Smaragdkleeblatt beim Toten gefunden, du weißt schon, wie unseres …«
    Er deutete auf den Anhänger um Lillis Hals. Sie hatte

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