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Das Diamantenmädchen (German Edition)

Das Diamantenmädchen (German Edition)

Titel: Das Diamantenmädchen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ewald Arenz
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heute Morgen lange darüber nachgedacht, ob sie ihn umlegen sollte, es aber dann doch getan.
    »Ich weiß«, sagte Lilli leise. Paul war verblüfft.
    »Woher …?«, begann er, aber Lilli unterbrach ihn.
    »Schambacher hat es mir gesagt. Er ist wegen eines Photos zu mir in die Redaktion gekommen, wir waren essen, und er hat ihn gesehen.«
    »Ihr wart essen!«, Paul hatte es nach kurzem Schweigen gesagt, vollkommen überrascht und getroffen.
    Lilli holte tief Luft und sah ihm in die Augen.
    »Ja. Wir waren essen. Ich hatte ja keine Ahnung, dass er dann … dass er dich verdächtigen würde! Woher sollte ich das wissen?«
    Dann, nachdem sie einmal tief ein- und ausgeatmet hatte, nahm sie all ihren Mut zusammen und fragte:
    »Und, Paul, sag mir: Wie kommt der Anhänger da hin? Ist es deiner?«
    Sie wartete die Antwort nicht ab, sondern fuhr hastig fort:
    »Ich meine, du könntest es mir sagen. Vielleicht … ich weiß ja nicht, was geschehen ist. Vielleicht hat es ja einen Streit gegeben … Paul, ich weiß nicht, was du damit zu tun hast … aber …«, sie stockte und dann flüsterte sie außer Atem und verzweifelt:
    »Paul, hast du den Mann erschossen?«
    Obwohl sie so leise gesprochen hatte, war es, als gäbe es ein wisperndes Echo in der großen Stille des Saales. Paul stand vor der Vitrine und sah sie an. Dann hob er etwas hilflos die Hände und ließ sie wieder fallen.
    »Nein«, sagte er mit brüchiger Stimme, »hab ich nicht.«
    In einer plötzlichen Bewegung trat sie sehr nah an ihn heran und betrachtete ihn ganz genau. Nein. Es war der Paul, den sie kannte. Der Paul aus ihrer Kindheit. Er sollte kein Mörder sein. Er konnte kein Mörder sein. Aber dann dachte sie daran, was Schambacher ihr erzählt hatte, und sie trat wieder zurück.
    »Hast du viele Männer umgebracht, im Krieg?«, fragte sie dann, ohne ihn anzusehen.
    »Was soll das?«, fragte Paul leise, aber plötzlich sehr wütend. »Denkst du, wenn ich da Leute erschossen habe, dann macht es mir auch nichts aus, im Frieden welche zu erschießen? Ich war Soldat! Natürlich habe ich Feinde erschossen! Es geht nicht anders! Wie kannst du …« Er holte tief Luft, um sich zu beruhigen, aber er war immer noch wütend, als er weitersprach.
    »Du hast keine Ahnung!«, sagte er mit großer Bitterkeit. »Keiner hat das, der nicht dabei war. Glaubst du vielleicht, dass man da nachdenkt, wenn sie ankommen? Wenn der neben dir ein Bajonett ins Gesicht kriegt, mitten durch den Kopf? Denkst du, ich habe gezählt?«, fauchte er mit schwer gepresster Stimme. »Denkst du, irgendeiner hat gezählt? Ich habe einfach versucht, wieder nach Hause zu kommen! Ich habe geheult wie ein Kind, während ich einfach blind geschossen habe, aber nicht, weil sie mir alle leid taten. Geheult habe ich vor Angst, vor grauenvoller Angst. Solche Angst hatte ich, das kannst du dir nicht vorstellen. Keiner kann das. Du schießt einfach, weil es nichts anderes gibt, was du machen kannst.«
    Er war jetzt völlig außer Atem, als ob er geschrien hätte. Er zitterte vor Aufregung und Wut. Lilli sah ihn erschrocken an. So hatte sie Paul noch nie gesehen.
    »Paul … ich wusste einfach nicht …«
    »Natürlich!«, unterbrach er sie zornig. »Wie kannst du auch wissen, ob ich’s nicht gewesen bin! Ich wusste vor diesem Krieg auch nicht, wie ich bin. Oder wozu man fähig ist. Töten ist ganz leicht, Lilli, ganz leicht. Verrat ist leicht. Feigheit ist leicht.«
    Verrat ist leicht. Lilli wusste nicht, ob er sie damit gemeint hatte, aber sie fühlte sich getroffen. Sie dachte einen flüchtigen Augenblick daran, wie Schambacher sich angefühlt hatte in der vergangenen Nacht, und sie spürte, wie Scham ihre Wangen brennen ließ. Zum Glück war es so dämmerig in diesem Saal, dass Paul es kaum sehen konnte.
    »Aber wenn du es doch nicht warst«, sagte sie hilflos, »warum dann diese dumme Geschichte mit dem Alibi? Das finden die doch heraus. Die glauben mir nicht!«
    »Dann sag’s ihnen doch!«, fuhr er sie an. »Sag’s diesem Schambacher! Geh mit ihm essen und sag’s ihm.«
    Die Worte klangen nach, und dann war es wieder sehr still. Irgendwo ging eine Tür. Schmal stand Paul da, zitternd und geschüttelt von den widersprüchlichsten Gefühlen, aber ihr ging es genauso. Er hatte sie im Innersten getroffen, weil sie ihn wirklich verraten hatte. In diesem Augenblick konnte sie sich selber nicht verstehen und hatte gleichzeitig große Lust, Paul zu schlagen. Warum war er nicht da gewesen? Warum hatte

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