Das Disney World Komplott
Mitternacht
Werden im Innern Feuer entfacht
Was ohn' Ahnung du hast, laß dich bekehren
Ist doch alles, was ich je könnte begehren
Doch hattest du jemals, wie ich, keine Wahl
Ersehnst du ein Ende der ewigen Qual
Groß wärst du nicht, dein Sein war bescheiden
Groß wären nur deine künftigen Leiden
Nur kurze Zeit in meiner Haut
Und vor den Feuern es dich graut
Niemals kannst du den Feuern ganz entkommen
Von der Brunst bleibt niemand ausgenommen
Um die Welt weine ich
Und ich weine um dich
Wir leben alle in dem selben Reich
Und einmal sind wir auf ewig gleich
Die Zeilen erschütterten Susan trotz ihrer Holprigkeit, denn ›Die Feuer der Mitternacht‹ waren von einem Dreijährigen geschrieben worden. Allerdings wohl von keinem gewöhnlichen Dreijährigen. Vielmehr von einem, der die Tatsache seines Andersseins schon kannte und den sie verbitterte. Ein Dreijähriger, der ein Außenseiter gewesen sein mußte und der sich verzweifelt gewünscht hatte, normal zu sein, ohne es je sein zu können.
Susans Herz hämmerte, als sie die Diskette aus dem Rechner nahm und eine andere hineinschob. Auf dieser befand sich eine Dateiliste. Susan sah sich etliche Dateien an. Joshua Wolfes nahezu manische Beschäftigung mit der Luftverschmutzung ging weit über die potentiell katastrophalen Auswirkungen hinaus und erstreckte sich auch auf die Erarbeitung grundlegender Lösungsvorschläge. Alle Dateien schilderten seine Experimente mit diversen Agens, die allesamt das Unheil auf der molekularen Ebene angehen sollten. Einige technologische Verweise deuteten eindeutig darauf hin, daß der Junge mit irgendeiner Art von gentechnisch erzeugtem Organismus hantierte, um luftverschmutzende Stoffe der Luft sozusagen direkt zu entziehen …
Susan stoppte den Bildlauf und starrte auf den Monitor. Fast hätte sie eine Datei übersprungen, wäre da nicht plötzlich ein Erinnerungsfetzen gewesen.
Baupläne, Blaupausen …
Vor nur wenigen Stunden hatte sie diese Konstruktionszeichnungen schon einmal gesehen. Und zwar in der mobilen Leitstelle der Sonderabteilung Brandwacht.
Es waren die Konstruktionspläne der Citypassage von Cambridge.
Susan versuchte Ruhe zu bewahren, aber ihre Gedanken überschlugen sich. Sie dachte an die Luftmeßinstrumente, die im Einkaufszentrum gefunden worden waren. Ein Zusammenhang mit Joshua Wolfes Forschungen lag unweigerlich nahe.
Was weiß ich? Was kann ich beweisen?
Zunächst die Hypothese. Angenommen, Joshua Wolfe ist im Heizungskeller gewesen, dann konnte das Vorhandensein der Meßgeräte in der Passage darauf hindeuten, daß er dort ein Experiment durchgeführt hatte. Angenommen, er hat einen Organismus oder ein Enzym eigener Schöpfung freigesetzt, um die lokale Luftverschmutzung zu bekämpfen.
Aber es lief nicht wie geplant, und das Ergebnis war …
Und kurz vor Beginn der Mitternacht Werden im Innern Feuer entfacht
Die Feuer der Mitternacht, dachte Susan. War es das, was Joshua Wolfe vor zwei Tagen in der Cambridger Citypassage unbeabsichtigt auf die Menschheit losgelassen hatte?
In den nächsten Dateien stieß Susan auf eine vorläufige Antwort. Obwohl sie überwiegend mathematische Formeln und Gleichungen enthielten, mit denen Susan wenig anfangen konnte, entdeckte sie schließlich in einer Datei einen Hinweis auf die Substanz, die der Junge anscheinend im Rahmen seines Tests in der Einkaufspassage hatte erproben wollen: Clear Air – saubere Luft.
Diese Schreibweise erschien ausschließlich in der Überschrift, danach hatte Joshua Wolfe nur noch die Zusammenziehung CLAIR verwendet. Susan ging noch mal ein paar Dateien zurück und stellte fest, daß er allen seinen experimentellen Formeln Frauennamen gegeben hatte. Allem Anschein nach war er ebenso ein Meister des Worts wie auch des Reagenzglases – ein wahrer Poet.
Im Moment jedoch interessierten Susan seine Experimente mit dem Reagenzglas mehr. Falls sie Joshua Wolfes Gleichungen richtig interpretierte, mußten für die Räume der Einkaufspassage zwei Ampullen mit CLAIR erforderlich gewesen sein. Diese Angabe wurde später auf eine Ampulle reduziert, offenbar in letzter Minute, vielleicht erst am Sonntagvormittag.
Dieses Faktum lenkte Susans Überlegungen in eine andere Richtung. Was, wenn nun …
Sie griff nach dem Telefon, schloß die Lider, um sich auf die von Mulgrew genannte Rufnummer zu besinnen.
»Ich muß noch etwas wissen«, erklärte Susan ihm. »Hat Joshua Wolfe in den Forschungslabors, zu denen er Zugang hatte, den
Weitere Kostenlose Bücher