Das Disney World Komplott
und ein uniformierter Sicherheitsbeamter Susan über das Universitätsgelände zu Apartment 21, einem Zimmer im sonst von Studienanfängern bewohnten, jetzt dem Sommersemester zur Verfügung gestellten Studentenwohnheim.
»Falls ich Ihnen noch irgendwie behilflich sein kann«, äußerte Mulgrew, »finden Sie mich in meinem Büro.«
»Danke«, antwortete Susan und schloß die Türe hinter sich.
Der Raum bestand eigentlich aus zwei Zimmern und wäre während des Studienjahrs normalerweise von zwei oder drei Studenten bewohnt gewesen. In diesem Sommer war er jedoch offensichtlich nur von einer Person benutzt worden. In der Schlafnische standen nur ein Bett, ein Stuhl und ein Fernsehapparat, sonst nichts. An den Wänden hingen keine Poster, eine Stereoanlage mit bombastischen Lautsprechern fehlte, und auch sonst sah Susan nichts, was auf die Lebensweise eines Teenagers hingewiesen hätte. Das einzige, was eventuell auf einen Jugendlichen hindeutete, waren die halboffenen Schubladen und die überall verstreuten Kleidungsstücke. Es sah aus, als wäre Joshua überstürzt abgereist. Im Schrank stand kein Koffer. Mehrere Drahtkleiderbügel lagen auf dem stumpfen Fliesenboden.
Das zweite Zimmer bot dagegen ein völlig anderes Bild.
Dort gab es praktisch nur Computer. In einem Gerät erkannte Susan den Power Macintosh II 8100/80, den schnellsten und leistungsfähigsten aller zur Zeit erhältlichen Rechner. An einer anderen Wand standen zwei kleinere Computer, jeder ergänzt um externe Festplattenlaufwerke hoher Kapazität. Vollgestopfte Bücherregale bedeckten jedes freie Stückchen Wand.
Langsam und aufmerksam sah Susan sich in dem Raum um. Sie wußte nicht genau, was sie überhaupt suchte, und nahm erst einmal zur allgemeinen Orientierung alle möglichen Gegenstände vom Schreibtisch oder aus den Regalen, bis ihr Blick auf ein dickes, sauber in einen Plastikrücken gebundenes Heft fiel. Sie schlug es auf und las das Titelblatt.
Joshua Wolfe Irreversible Effekte der Umweltverschmutzung und
potentielle Lösungsmöglichkeiten
Erster Entwurf der Dissertationsarbeit
Im selben Regal befanden sich zahlreiche Kladden und Notizbücher. Susan zog eines heraus und blätterte es durch; danach ein zweites und drittes Notizheft.
Die gesamten wissenschaftlichen Aufzeichnungen und theoretischen Überlegungen des Jungen drehten sich um Luftverschmutzung. Ein Notizbuch betraf ausschließlich den globalen Erwärmungsprozeß, ein anderes den Treibhauseffekt.
Bei Durchsicht der nächsten drei Regalfächer setzte sich Susan auf den mit solider Rückenlehne ausgestatteten Schreibtischstuhl. Der Inhalt anderer Kladden begründete die Notwendigkeit drastischer, einschneidender Schritte zur Behebung des Verschmutzungsproblems und beschrieb in allen Einzelheiten die Folgen für die Menschheit, sollte das Problem nicht bald mit vollem Nachdruck angegangen werden. Susan wußte, daß Genies häufig bestimmte Fragen mit wahrer Besessenheit verfolgten, und Joshua Wolfes Form der Besessenheit hatte in diesen vielen Kladden und Heften ihren Niederschlag gefunden.
Sie ging zu dem Tisch, auf dem der Macintosh stand, zog den einzigen Stuhl mit. Sie schaltete den Rechner ein und sah sich den Datenmanager an. Es überraschte sie nicht, daß alle nicht zum Betriebssystem zählenden Dateien gelöscht worden waren. Enttäuscht durchsuchte sie in der Hoffnung, vielleicht doch noch irgendeine Art von Hinweis zu entdecken, die Schubladen des Computertischs.
Tatsächlich stieß sie in der zweiten Schublade auf etwas, das ihre Erwartungen übertraf: eine Box aus Plastik, die unbeschriftete Disketten enthielt. Susan entnahm aufgeregt eine, schob sie ins Laufwerk und lud die einzige auf der Diskette gespeicherte Datei.
Auf dem Bildschirm erschien ein Gedicht, das erste einer ganzen Sammlung – die Datei umfaßte ausschließlich Gedichte. Sie waren in der chronologischen Reihenfolge ihrer Entstehung geordnet. Susan betätigte die Bild-Lauf-Taste, um wieder zum ersten Gedicht zurückzukommen. Über dem Titel fand sich der Vermerk: Josh, 3 Jahre.
Der Titel lautete: DIE FEUER DER MITTERNACHT. Es folgten elf Strophen.
Wir wissen, wie beim Weinen zumute ist Und greifen doch oftmals zu Lüge und List
Viele sind es, deren Mut geschwunden
Weil nie sie des Lebens Sinn gefunden
Aber es gibt einen Weg zu beschreiten,
Den ich zu gehen gedenke beizeiten
Das eine, was die Welt bewundern muß,
Bin bald ich, dank der holden Musen Kuß
Und kurz vor Beginn der
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