Das Doppelbett
Revolution kann eine langwierige Geschichte sein, ihr versteht sicher, was ich damit gesagt haben will.
Eines Abends wurde ich auf der Straße von einer Dame mit Namen Resignations Olga angehalten, deren Bekanntschaft ich einige Tage vorher in einem internationalen Schlangennest mit Seminarcharakter gemacht hatte.
Ich schob schnell meine Mitdelegierten mit der vertrauensvollen Ermahnung ab, daß sie sich sicher selbst zurechtfinden würden — anderenfalls könnten sie sich an die Gewerkschaft wenden —, und folgte mit leichten und beinahe tänzerischen Schritten jener Olga zu ihrem kleinen, knallroten Heim in der Stehschwanzstraße, früher Pythonallee.
Für eine Weile schlossen wir uns einer Demonstration vor eurer und meines Landes Botschaft an. Die anwesenden Schweden bestanden zum Teil aus Studenten, außerdem einem Meer von Arbeitern und Bauern sowie einigen Beamten aus dem Regierungsviertel. Weiter waren dort einige Genossen klassenfeindlicher Herkunft, die mit den pathologischen Monstren von Eltern gebrochen hatten, einige Volksliedwimmerer, ein Flößer sowie drei oder vier Säuselmädchen.
Nachdem wir das Personal der Botschaft in die Bäume gejagt hatten, wo sie sich ausgezeichnet als Affen, die sie waren, machten, und was übrigens auch die Polizei unaufhörlich betonte, steckten wir die Botschaft an und ließen sie herunterbrennen, während wir mit Beischlaf, Verführungen und offensivem Volkskaressieren den eintreffenden Feuerwehrmännern und Frauen klarmachten, daß ihr Feuer nicht dort, sondern in ihren Herzen zu brennen hätte.
Wie ich schon berichtet habe, war die kleine, enge Wohnung der Resignations Olga vollständig mit einem klopfenden Rot bemalt.
»Sag mir, Olga...«
»Resignations Olga«, berichtigte sie mich und legte für einen Augenblick die Hände hinter ihren dünnen Hals in einer Weise, die ungewollt ihre hohe, arrogante Büste betonte, die kaum von einem kunstvoll geschlitzten Hemd verborgen wurde. Dann begann sie, ihre pistagegrünen Stiefel aufzuschnüren.
»Sag mir, Resignations Olga, was hat die Naturrevolution für dich bedeutet?«
Sie sah mich vieldeutig an. Olga war ein dünnes, beinahe mageres Mädchen mit hervorstehenden, flaumigen Jochbeinen und flacher Stirn. Sie hatte gelbrotes Haar, das sie als Friedenslocke gekämmt trug. Sie zog lässig die kunstseidenen Strümpfe aus. Ihr Blick änderte sich nicht.
Dann konzentrierte sich die Vieldeutigkeit in eine kurze Grimasse der Irritation, die sich dann in eine freundschaftliche Neutralität verwandelte, die sofort ihr ganzes hungriges Gesicht überzog.
Und während ich ihr schmales Kinn mit dem illyrischen Grübchen küßte, schien sie zwischen mehreren, fast gleichlautenden Antworten zu wählen, um die am wenigsten offizielle zu finden. Als sie anfing zu sprechen, klang es erst nachdenklich und mild, wurde dann aber immer leidenschaftlicher:
»Die Naturrevolution hat für mich und alle Schweden, denn die, die nicht mit uns übereinstimmen, rechnen wir nicht länger als Schweden, also die Naturrevolution hat für das ganze schwedische Volk den Großen Sprung nach innen bedeutet, der hundert Schöße zum Beben brachte. Sie ist ein Ausdruck für die neuen Tugenden, sie ist ein Ausdruck für den gnadenlosen Kampf gegen alle Gegner des Friedens, sie ist auch ein Schritt auf dem Wege zur Selbstfindung des sozialistischen Menschen.«
»Aber für dich?«
»Wer bin ich? Ich — eine Schwedin. Ich — ein Sozialdemokrat. Wir sind stolz auf unseren Vorsitzenden...«
(und hier erhoben wir uns beide)
»... und«, fuhr sie fort, »auf alle seine großen Gedanken.«
Mit einer perfekten Balance und einem kräftig pathetischen Unterton zitierte sie aus dem Gedächtnis einige der großen Gedanken des Vorsitzenden, die alle Schweden so kennen wie den Sonnenschein, die Wassergrütze und Ziehharmonikamusik:
»Der Sommer ist die wärmste Jahreszeit. Der Elefant ist das einzige Tier, das einen Rüssel hat. Schnee fällt nur im Winter. Die Welt ist eine Papierrose. Der Wohlstand ist eine Warteschlange! «
Danach fielen wir uns ergriffen in die Arme. Ich hatte noch mein rotes, langärmeliges Lahmanhemd an, aber Schlips und Oberhemd doch schon ausgezogen. Und sie war wie ein verfrorenes Vogeljunges in meinem Arm, ein tiefgefrorenes Schneehuhn, und gleichzeitig fühlte sie sich unbezwinglich und furchtbar sozialdemokratisch hart wie Eiche oder Fels oder die Überzeugung selbst an. Und meine Lippen suchten ihre, und die waren schon
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