Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Doppelspiel

Das Doppelspiel

Titel: Das Doppelspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
»Ich kann Sie auf die Warteliste setzen, und falls jemand zurücktritt –«
    »Aber das kommt selten vor.«
    »Sehr selten.«
    »Dann lesen Sie das Schreiben und geben Sie es dem Genossen Stellenleiter weiter …«
    Das hübsche Mädchen betrachtete die Stempel und Unterschriften, interessierte sich aber mehr für den Namen als für die Dringlichkeit und warf einen Blick auf die bereits gebuchten Passagierlisten. »Es ist fast unmöglich, Wassja Grigorjewitsch«, sagte sie. »Ist es so eilig?«
    »Je länger ich Sie ansehe, Genossin, um so mehr habe ich Lust, in Jakutsk zu bleiben.« Er lehnte sich gegen die Theke, warf dem Mädchen einen romantischen Blick zu und verursachte damit eine heillose Verwirrung in ihrem Inneren. »Wir könnten ins Kino gehen, in das Theater, in die Puppenspiele, zum Tanzen und ins Bett … eine herrliche Beschäftigung, mein Täubchen …«
    »Ich spreche mit dem Genossen Stellenleiter.« Das Mädchen, bis hinter die Ohren rot geworden, nahm das Papier, drückte es gegen ihre Brüste und rannte durch eine Tür im Hintergrund weg. Shukow betrachtete inzwischen die Plakate an den Wänden, die typischen Werbefotos, wie sie in allen Flugbüros hängen: Ein Sandstrand am Schwarzen Meer mit halbnackten, fröhlichen Menschen. Die Kremlmauer mit Mausoleum und Spasski-Turm. Die Eremitage von Leningrad. Ein Troikaschlitten in einem tief verschneiten Wald. Die riesige Siegesgöttin mit dem hochgesteckten Schwert auf dem Mamaiew-Hügel von Stalingrad, das jetzt Wolgograd hieß. Schönes Rußland, glückliches Rußland, reiches Rußland, friedliches Rußland. Plakate von den Straflagern in Sibirien gab es nicht. Auch nicht von den Bergwerken und Steinbrüchen, in denen die Verbannten arbeiteten. Aber warum auch? Gab es etwa in Deutschland Plakate von KZs? ›Besichtigt Buchenwald und Bergen-Belsen – das große Reiseerlebnis!‹ Hängte man in den USA Bilder aus den Reservaten der Indianer an die Wand? Oder von den Slums der Negerviertel? ›Kommt nach Harlem … Weiße, die nachts ohne Begleitung sind, lernen um ihr Leben rennen! Unvergeßliche Stunden für ein paar Dollar …‹
    Shukow betrachtete gerade ein Plakat mit einer Ballettszene aus dem Bolschoitheater, als der Genosse Stellenleiter aus dem Hintergrund an die Theke eilte. Das hübsche Täubchen, noch immer mit roten Ohren und einem seelenvollen Blick auf Shukows muskulösen Körper, stellte sich an einen Karteischrank und bewunderte stumm den Gast.
    »Genosse Shukow«, sagte der Stellenleiter der Aeroflot, »das mit dem Flug ist ein wirkliches Problem.«
    »Wir sind hier in Sibirien«, entgegnete Shukow ruhig, »wo man vor Problemen noch nie kapituliert hat. Hätten wir sonst Sibirien erobert, na? Gibt es für Pioniere des Sozialismus überhaupt Probleme, frage ich?«
    O je, dachte der gute Mann hinter der Theke. Er sieht so brüderlich aus, und dabei ist er einer von der ganz schlimmen Sorte. Ein Schlagwort-Hinknaller! Ein wahrer Steinfresser! So etwas hat man gern! Kommt aus dem russischen Mutterland nach Sibirien und benimmt sich, als könne er hier wie auf dem Roten Platz Spazierengehen. Aber da ist das Schreiben. Eine Menge Stempel und Unterschriften, unleserlich zwar, aber von den höchsten Stellen in Irkutsk und Moskau. Mit einem solchen Papierchen stößt man alle Türen auf … aber man kann damit kein Flugzeug länger oder breiter machen.
    »Ich muß morgen nach Irkutsk!« sagte Shukow, bevor der gute Mann eine Antwort formuliert hatte. »Wie Sie das anstellen, Genosse, überlasse ich Ihnen.«
    »Morgen? Das ist völlig ausgeschlossen. Eine kubanische Delegation, Staatsgäste, hat bis auf neun Plätze die Maschine besetzt.«
    »Und die restlichen neun Plätze? Ich brauche nur einen Platz! Mein Freund, ich bin kein Monster!«
    »Die neun Plätze sind seit einer Woche vergeben. Drei Funktionäre der Partei, zwei Offiziere, drei Professoren und der berühmte Sänger Stanislaw Kornejewitsch Slobin. Er muß morgen abend in der Oper von Irkutsk den Boris singen. Wassja Grigorjewitsch, wo sehen Sie da eine Möglichkeit für sich?«
    »Ich setze mich auf den Schoß des Piloten oder des Co-Piloten.«
    »Es ist anzunehmen, daß sie das nicht gern haben«, sagte der Stellenleiter säuerlich lächelnd. »Warum nicht gleich unter den Rock der Stewardeß?«
    »Einverstanden!« rief Shukow freudig. »Genosse, tragen Sie meinen Namen in die Passagierliste ein.«
    Es ging noch eine Weile hin und her, bis man Shukow die Ausnahmegenehmigung

Weitere Kostenlose Bücher