Das Doppelspiel
Geheimmaterial herauszubringen. Aber auch hier paßten Gulbrannsons Spezialisten auf. Jeder, der das Atomgelände verließ, wurde durchleuchtet. Von den Labors der Gruppe V führte nur dieser Weg durch die Röntgenschleuse in die Außenwelt. Mikrofilme, wo immer sie auch am Körper versteckt waren, wurden durch diese Strahlen unbrauchbar gemacht. Sie schwärzten sich ein.
Man kam also mit Norma Taylor nicht weiter. Der einzige, der mit ihr länger sprechen konnte und zu dem sie freundlicher war als zu ihren anderen Gästen, war der Vertreter für Bio-Jet, dem Stärkungsmittel mit Vitaminen und Lecithin. Auch er wurde von der Riege der Norma-Erstürmer beobachtet – man fand nichts an ihm als das, daß er gut aussah, immer zu Witzen bereit war, herrliche Sprüche über sein Kakaogesöff herunterklopfen konnte und – wenn er in Los Alamos war – bei Jimmy in der Kneipe saß und ab und zu eine Partie Billard im Hinterzimmer spielte. Ein harmloser Mensch, völlig integriert in seinen Beruf. Niemand kannte ihn anders als in seinem weißen Overall und seiner Schirmmütze. ›Bio-Jet … und du wirst 100 Jahre.‹
Ein paarmal wurde John Barryl zur Seite genommen, immer, wenn er von Norma kam. Hätte er alle Angebote akzeptiert, wäre ein guter Nebenverdienst herausgekommen. Einige boten ihm 100 Dollar für eine Vermittlung, allein mit Norma sprechen zu können. Ein Major, Vater von vier Kindern, wedelte sogar 500 Dollar, wenn John die eiserne Norma überreden könnte, sich im Kino mit ihm zu treffen. Aber nicht nur die Militärs waren scharf wie abgezogene Handgranaten, auch seriöse Wissenschaftler verirrten sich immer mehr in die Milchbar, saßen stieren Blickes herum, betrachteten Normas volle Bluse, lächelten ihr dümmlich zu und kamen sich in ihren weißen Labormänteln unwiderstehlicher vor als die Soldaten in ihren Uniformen. Sogar ein Professor entdeckte seine Liebe zu einer Bio-Jet-Milch mit Schlagsahne und versuchte, Norma Taylor durch einen Vortrag über ›biologisches Hyperwachstum durch Atombestrahlung‹ für sich zu interessieren.
Norma hörte geduldig zu und sagte dann ruhig: »Die Milch kostet 30 Cents. Unbestrahlt …«
Alles brüllte vor Lachen, aber wer erwartet hätte, ein beschämter Professor würde jetzt seine Besuche einstellen, hatte sich geirrt. Professor Werner Lowinsky kam am nächsten Tag zur Mittagszeit wieder, trank seine Mixmilch für 30 Cents und aß ein Sandwich mit Salami noch dazu.
Da geschah das Ungeheuerliche! Norma Taylor brachte ihm das Sandwich, blieb an Lowinskys Tisch stehen und unterhielt sich einen Augenblick mit ihm. Ganz kurz nur, ein paar Sätze, aber sie hatten es in sich, wie die Nähersitzenden hören konnten.
Norma sagte: »Ich habe darüber nachgedacht, Herr Professor. Dieses Riesenwachstum. Das ist doch eine tolle Sache! Mit so einer künstlichen Sonne ist man ja wirklich unabhängig von allen Witterungen. Es gibt überhaupt keine Mißernten mehr, sondern nur noch Supererträge. Toll!«
Professor Lowinsky ging an diesem Tag mit zittrigen Knien zurück in sein Labor. Oberleutnant Gulbrannson, der sich in Unkosten gestürzt und eine Sinfonie von Beethoven gekauft hatte – die Dritte, dirigiert von Bernstein –, folgte ihm mit düsterem Blick und erwischte ihn vor dem Eingang zum Simultanreaktor.
»Sie mit Ihrem dusseligen Hyperwachstum!« sagte Gulbrannson ohne Warnung. »Glauben Sie bloß nicht, daß wir Ihre Attacken auf Norma ruhig ansehen! Mein Gott, ja, Sie haben einen bekannten Namen. Aber für Norma sind Sie drei Nummern zu klein.«
»Das werde ich Ihnen beweisen!« entgegnete Lowinsky mutig. »Ich weiß jetzt, was Norma immer gesucht hat. Einen geistigen Partner! Nicht einen Klotz, mit einer Uniform behangen.«
»Wollen Sie Krach, Professor?« fragte Gulbrannson dunkel. »Wir können Ihnen Schwierigkeiten machen.«
»Sie? Haha, da muß ich lachen!«
»Stellen Sie sich vor, Sie hätten die Mehrzahl der Offiziere von Los Alamos gegen sich. Ihnen bleibt nur noch die Auswanderung –«
»Das sind Gangstermethoden! Ich werde das der Obersten Behörde melden!«
»Wir sind jetzt allein. Es wird also Aussage gegen Aussage stehen. Und es wird keinen geben, der ohne Beweise einen amerikanischen Offizier einen Lügner nennen wird. Überlegen Sie sich das, Professor. Ist Ihnen die Ruhe für Ihre nuklearen Forschungen nicht wichtiger als Normas wippender Hintern?«
Auch John Barryl sah Norma kritisch an, als er bei seinem nächsten Vertreterbesuch im
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