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Das Doppelspiel

Das Doppelspiel

Titel: Das Doppelspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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betreten sah. Er ließ vor Schreck den Kuchen fallen, blickte auf den Fahrplan und ahnte, daß der Genosse Major den Zug um 6 Uhr 19 nach Odessa nehmen wollte. Das ergab eine große Schwierigkeit, denn es war ein Eilzug, und Eilzüge in Bilaki zu bremsen, wegen eines einzigen Reisenden, ist schon eine große Tat.
    Baidukjew säuberte seine bekleckerte Hose, stülpte seine Bahnhofsvorstehermütze auf den grauhaarigen Kopf, schnallte sein Koppel um und bat – wieder insgeheim – die Heiligen, der Genosse Major möge ein friedfertiger Mensch sein, der nicht gleich herumbrüllte, wilde Drohungen ausstieß und unübersehbare Schwierigkeiten auslöste.
    Vitali Polikarpowitsch machte noch einen Umweg in die Küche, denn seine Wohnung lag unmittelbar neben den Diensträumen, was praktisch war, denn wenn er seinen Mittagsschlaf hielt, konnte seine Frau Rimma Theofilowna von der Küche aus die Lichtsignale an den Weichenhebeln beobachten und rechtzeitig für einen reibungslosen Bahnverkehr sorgen, wie er in einem sozialistischen Staat selbstverständlich war.
    »Ein hoher Gast ist gekommen, Rimma!« sagte Baidukjew, starrte in den Spiegel, rückte seine Mütze gerade und zupfte einen Krümel Kuchen aus seinem Schnauzbart. »Ein Major. Ich muß den Eilzug anhalten. Telefoniere mit Puschkari … die sollen den Genossen Zugführer schon warnen.«
    Er ging in den Stellwerkraum, knallte den Hebel des Einfahrtsignals auf Rot und beeilte sich dann, in die Bahnhofshalle zu kommen. Dort stand der Major groß, stolz und ordensgeschmückt hinter seinem Koffer und betrachtete ein Plakat, das den Wein von Bilaki in überschwenglichen Ausdrücken pries.
    Baidukjew knallte die Hacken zusammen und grüßte stramm. Shukow fuhr herum.
    »Wie können Sie mich so erschrecken?!« schrie er sofort. »Knallt durch die Gegend wie zehn furzende Pferde!«
    O je, dachte Baidukjew, das ist ein ganz Scharfer. Mit dem kann man nicht diskutieren, der bläst einen an wie ein Herbststurm vom Meer. Er versuchte ein dümmliches Lächeln und blieb stramm stehen. Militärische Haltung kann nie schaden, dachte er dabei. Wozu ist er ein Major?
    »Der Genosse Major will nach Odessa?« fragte er, als Shukow schwieg.
    »Wenn es möglich ist.«
    »6 Uhr 19 haben wir einen Eilzug, Genosse Major.«
    »Das ist gut.« Shukow blickte auf seine Armbanduhr. Ein Modell der Uhrenfabrik von Kiew. »Das wäre in zehn Minuten?«
    »Falls der Zug pünktlich kommt. Meistens ist er pünktlich. Wenn Kostylew ihn fährt, ist er immer pünktlich. Wenn aber Repkin an der Maschine sitzt, kann er später kommen. Repkin hat Angst vor den Kurven. Kann man das verstehen? Fährt seit neunundzwanzig Jahren einen Zug, immer die gleiche Strecke, und hat noch immer Angst vor den Kurven! Ein sensibler Mensch, der Repkin. Spielt Schach und singt Mozart. Kennen Sie noch einen anderen Lokomotivführer, Genosse Major, der Mozart singt? Jemand hat gesagt, die Angst vor den Kurven hängt damit zusammen, weil er Mozart singt …«
    Baidukjew schwieg ermattet. Er beobachtete, daß der Major anscheinend kein Mozartkenner war. Shukow starrte den kleinen Bahnhofsvorsteher böse an.
    »Sie reden wohl gern?« fragte er scharf. Baidukjew spürte, wie ihm Schweiß auf die Stirn trat.
    »Ich habe nur versucht, dem Genossen Major die besondere Lage unserer Eisenbahn zu erklären. Das Signal steht schon auf Rot. Der Eilzug wird halten. Aber wenn Kostylew ihn fährt, o Seelchen, wird er schimpfen! Er hat den Ehrgeiz, auf den Punkt genau mit der Zeit in Odessa einzufahren. Doch wenn er den Genossen Major sieht, wird er höflich sein. Ganz bestimmt.«
    Shukow blickte wieder auf seine Armbanduhr, geradezu provozierend. Baidukjew wischte sich schnell mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn.
    »Noch fünf Minuten, Genosse Major.«
    »Dem Himmel sei Dank! Wieviel Kinder haben Sie?«
    »Nur eins. Einen Jungen.«
    »Dachte ich mir. Sie haben auch da zuviel geredet –«
    »Aber ich habe neun Enkelkinder, Genosse Major. Und mein Sohn ist Propagandist im zweiten Parteikader von Odessa!«
    Auch die letzten Minuten gingen herum. Von fern hörten sie das Pfeifen der Lokomotive, grell, langgezogen, weil schon das Vorsignal auf Rot stand.
    »Kostylew ist's, Genosse Major«, sagte Baidukjew grinsend. »Ha, hat der eine Wut! Pfeift wie ein Irrer! Repkin würde nichts machen, sondern ganz still einfahren. Aber Kostylew … ein Choleriker, sag' ich Ihnen! Spuckt jetzt voll Zorn gegen seine Armaturen! Da ist der Eilzug, Genosse

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