Das Doppelspiel
heißen Sie wirklich? Wie ist Ihr russischer Name? Was ist Ihr Auftrag? Wie heißen Ihre Auftraggeber? Wo wurden Sie ausgebildet? Erzählen Sie uns alles über diese Agentenschule in Winniza! Reden Sie –«
In den ersten vier Verhören machte John Barryl schlapp. Er ›sang‹, wie die vernehmenden Offiziere es lustvoll zu Protokoll gaben. Hinterher verkroch sich John in sein kleines Haus, schämte sich, verfluchte seine Schwäche und wartete wieder darauf, daß man ihn mit Schande aus Winniza entfernte und irgendwo in Sibirien, in einem kalten, in die Vergessenheit hineingebauten Lager ein neues Kommando für ihn fand. Major Plenjakow, der große Versager! Seine so blendende Karriere schien beendet. Vom Jenessei oder der Lena holte ihn niemand zurück.
Aber Mr. James Bulder, der Bürgermeister von Frazertown, war anderer Ansicht. »Es wird, John!« sagte er zufrieden. »Die Protokolle zeigen eine genaue Kurve Ihrer Verhärtung. Beim ersten Mal haben Sie nach zwei Stunden gesungen, beim vierten Mal erst nach sieben Stunden …«
»Aber ich habe gesungen, Sir!« sagte Barryl mit deutlicher Anklage in der Stimme. »Ich tauge nichts.«
»Andrej Nikolajewitsch – ich wollte Sie nie wieder so nennen, aber jetzt ist es nötig! –, Sie haben bisher die besten Noten des Lehrgangs bekommen. Sie werden ein Musteramerikaner. Aber wenn einmal der Ernstfall eintritt, so, wie wir ihn üben, und man versucht, Sie zu zerbrechen, dann weiß ich, daß Sie so vollkommen ein Russe sind, daß Sie lieber sterben, als ein Wort zu sagen!« General Iwan Kornejewitsch Sinjonew legte den Arm väterlich um Plenjakows Schulter. »So etwas kann man natürlich nicht im Simulatorraum bis zum Ende durchspielen, und außerdem bleibt bei Ihnen im Tiefenbewußtsein zurück: Sie lassen mich nicht krepieren. Es sind ja meine Kameraden – also redest du jetzt, um Schluß zu machen! – So reagiert man ungewollt. Das alles fällt in der Wirklichkeit weg. Dann sterben wir, Andrej.«
Plenjakow nickte. Sein Hals war wie verkrampft. »Ich danke Ihnen, Genosse General«, sagte er leise. »Ich hatte begonnen, mich selbst zu hassen, weil ich so versagte. Ich liebe mein Vaterland –«
»Darum werden Sie auch Amerikaner! Raus an die Arbeit, John … Billy Rampler sagt übrigens, daß Sie seit vier Jahren die besten Hamburger machen. Ist das nichts, Charming-Boy?«
»Sie geben mir neuen Mut, Sir.«
»Ich bin die falsche Adresse, John.« Bulder-Sinjonew steckte die Hände in die Hosentaschen, blies seinen Kaugummi zu einem Ballon auf, ließ ihn platzen und lächelte glücklich über den gelungenen Trick. »Wie steht's mit den Hormonen? Noch kein Mädchen auf der Matratze?«
»Nein, Sir.«
»Warum? Laufen doch genug herum. Eine Brust in der Hand gibt mehr Mut als hundert Worte von mir.«
»Ich habe ein Mädchen im Visier, Sir.«
»Hübsch? Natürlich ist sie hübsch! Sie können sich bei Ihrem Aussehen Schönheitsköniginnen aussuchen! Kenn' ich sie?«
»Norma Taylor heißt sie hier …«
»Die knacken Sie mal, John! Wenn Ihnen das gelingt, haben Sie das Zeug, später bis ins Weiße Haus zu kommen!«
»Wer ist sie, Sir?«
»Norma Taylor.«
»Ich meine … außerhalb von Frazertown.«
»Es gibt kein ›außerhalb von Frazertown‹!« sagte Bulder hart und plötzlich sehr ernst. »John Barryl, merken Sie sich das! Wenn sie Norma heißt, ist sie Norma!«
Barryl nahm den Rüffel gelassen hin, stülpte seine Mütze mit dem grünen Schirm auf den Kopf und verließ das Büro des Bürgermeisters.
An diesem Nachmittag hatte er seinen freien Tag, ging ins Kino, wo er den ›Paten‹ mit Marion Brando sah, machte dann einen Umweg zu Hillmoores Bar, trank drei Whiskys on the Rocks und setzte sich dann in das Catcherzelt.
Im Ring machten sich zwei Fleischberge warm, übten ein paar Griffe und stimmten sich ein für die Vorstellung, die um 21 Uhr begann. Das Zelt war bis auf die Trainer leer, eine trostlose Ansammlung von Stühlen und Bänken. Nur Barryl gegenüber, durch den Ring getrennt, saß einsam ein anderer Besucher und beobachtete die Catcher und ihre aufeinander abgestimmten, so schrecklich wild aussehenden Griffe.
John erhob sich, ging um den Ring herum und setzte sich neben den anderen einsamen Gast. »Seit wann interessieren Sie sich für schwitzendes Fleisch, Norma?« fragte er.
»Und warum sind Sie hier?« fragte sie zurück.
»Ihretwegen.«
»Wieso?« Sie sah ihn an. Zum erstenmal seit fünf Wochen blieb ihr Blick länger als eine
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