Das Doppelspiel
jenseits aller Fragen.
Bob blickte Norma nach, wie sie hinunter zu Billys Restaurant ging, langbeinig, ein schönes, wildes Tierchen, das nicht zu bändigen war.
Er faßte an seine Gurgel, wo die Bißwunde juckte und ein verkrusteter Blutfleck genau unter dem Kehlkopf lag.
Sie ist ein Naturereignis wie die großen Ströme Rußlands, dachte er. Wie die unendlichen Wälder der Taiga. Wie die grenzenlosen Steppen Kasakstans.
Wie kann man verhindern, daß sie im Kalten Krieg der Geheimdienste geopfert wird?
Die Schließung der Funkverbindung zu dem Traktoristen Dewjatow in Winniza geschah für General Jack Orwell genau im ungünstigsten Augenblick.
Nach Dewjatows hastigem Abschied auf unbestimmte Zeit versuchte man zwar in der Zentrale von Alaska und im geheimen Hauptquartier in Fort Patmos immer wieder, den Kontaktmann zu rufen, aber Awdej Konstantinowitsch antwortete nicht. Dafür nahmen die Techniker aus Kiew mit ihren hochempfindlichen Geräten die fernen, zerhackten Sprüche auf, aber es gelang ihnen nicht, sie zu entzerren und dann den Sinn der Worte zu enträtseln. Zwei Offiziere der Dechiffrierabteilung bekamen rote Ohren und mußten gestehen, daß man nicht weiterkomme. Nur eins war sicher: Der Funkspruch kam von außerhalb Rußlands. Wo der Sender stehen konnte, war unmöglich zu sagen. Der Partner in Winniza jedenfalls antwortete nicht mehr.
»Er ist gewarnt worden«, sagte der aus Odessa angereiste Kapitän des KGB und sah Stanislaw Jakowlowitsch Slobin, der den Sender zuerst erkannt hatte, vorwurfsvoll an. »Es sind zu viele Fehler gemacht worden, viel zuviel Fehler! Man hätte uns sofort benachrichtigen müssen! Das wilde Herumpeilen in der Gegend hat das Schwein von Verräter natürlich gemerkt. Solange er schweigt, sitzen wir wie Urgroßmütterchen auf dem Topf.«
General Orwell in Fort Patmos begnügte sich allerdings nicht damit, zu resignieren. Er hoffte, daß Dewjatow einmal kurz auf Empfang schalten würde und dann den Lockruf aus Amerika hörte. »Am Mann bleiben!« befahl er. »Zu den vereinbarten Zeiten senden! Ich muß Bob Miller erreichen! Er ist der einzige, der alle Möglichkeiten bei sich hat.«
Diese Möglichkeiten wurden dringend gebraucht. Fotos, deren Herkunft nicht einmal Orwell gesagt wurden und die ihm das Pentagon mit einem Kurier schickte, zeigten ganz deutlich, daß westlich der riesigen Lena, in der wasserreichen Tiefebene der Lindya, ein ganzes Raketenzentrum aufgebaut worden war. Völlig unbekannte Abschußrampen signalisierten eine akute Gefahr für die USA. Wenn es sich um die in allen Gerüchten wiederkehrenden neuen Intercontinental-Raketen der Sowjets handelte, von denen man trotz aller Bemühungen über V-Männer keinerlei Beschreibungen hatte, war es Rußland möglich, von der Lindya aus den ganzen Norden, Westen und Süden der USA mit einem Feuerschlag aus Atomsprengköpfen zu vernichten. Die internationalen Verträge über Abrüstung und Atomkontrolle waren sowieso nur beschriebenes Papier, an das lediglich die naiven Politiker glaubten. Die Militärs dachten da realer – sie kannten sich untereinander zu gut. Ihre Gedanken Verwandtschaft war verblüffend. Wer weiß schon und wird es jemals entdecken, daß an der Lindya oder irgendwo in New Mexiko unter der Erde Waffen montiert werden, die Millionen Menschen in Sekundenschnelle auslöschen können? Darüber spricht man nicht. Man ahnt es, jeder vom anderen, und wenn Politiker nach einem Vertragsabschluß sich freundschaftlich die Hände schütteln für Presse und Fernsehen, lächeln die Militärs still vor sich hin.
Es gab also, nach den neuesten Fotos aus dem Pentagon, westlich der Lena eine neue Raketenbasis mit noch nie gesehenen Abschußrampen. Auf den Fotos waren sie leer … wie die neuen Raketen aussahen, wußte man überhaupt nicht. Aber man ahnte, daß sie ein programmierbares elektronisches Zielsuchgerät enthielten, das wie ein Computer arbeitete und die tödliche Waffe genau in das Ziel steuerte, das ein elektronisches Gehirn errechnet hatte.
»Ich muß Bob erreichen!« sagte General Orwell immer wieder, wenn seine Funkleitstelle ihm meldete: Kein Kontakt zu Winniza. »Was in Frazertown los ist, wissen wir jetzt. Die meisten Namen haben wir. In zwei oder drei Wochen ist Bob soweit, daß er seinen Posten abbauen kann. Dann kennen wir auch die restlichen Namen, und Bob hat die Fotos der wichtigsten Agenten im Kasten. Er kann sie Dewjatow übergeben und dann Weiterreisen nach Sibirien. Wenn es einem
Weitere Kostenlose Bücher