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Das Doppelspiel

Das Doppelspiel

Titel: Das Doppelspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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gelingt, an die neuen Raketen heranzukommen, dann ist es nur Miller. Sein großer Vorteil: Er ist schon in Rußland. Er ist ein so vollkommener Russe, daß eigentlich nichts schiefgehen kann. Und er hat die besten Papiere bei sich. Vom Major bis zum Elektroschweißer – er kann in jedem Beruf arbeiten. Zum Teufel, einmal muß Dewjatow doch auf Empfang stellen. Das merkt doch keiner!«
    Also funkte man … morgens, mittags und abends. In Winniza fluchten sie um die Wette, der KGB-Offizier schrie, wenn er die Gelbsucht bekäme, wäre das kein Wunder, und Kapitän Slobin, der das alles in Gang gebracht hatte und am meisten angeblasen wurde, beschloß im stillen, nie wieder freiwillig eine Beobachtung zu melden oder sich in die hohe Politik hineinzudrängen. Hatte man das nötig? Winniza war eine schöne, ruhige Garnison, in der sich wohl leben ließ mit wenig Arbeit, aber um so mehr mit hübschen, glutäugigen Mädchen. Man versah seinen Dienst, und Schluß damit. Das Leben ist so kurz, Genossen, warum soll man es künstlich beschweren? Nie wieder mehr tun, als nötig … Kapitän Slobin nannte sich im Nachhinein einen Idioten und saß mit finsterer Miene in dem Peilwagen herum.
    General Orwells Hartnäckigkeit hatte Erfolg. Am neunten Tag nach Dewjatows Funkstille kam endlich Antwort. Nur ein Wort: HÖRE. Es war wirklich nur ein Zufall. Dewjatow, diesesmal ohne kunstliebende Nachbarn, legte eine Schallplatte von David Oistrach auf, ein Violinkonzert von Prokofieff, und stellte, rein aus Neugier, den Hebel des Senders auf Empfang. Das typische Knacken tönte aus dem Lautsprecher. Dewjatow stellte den Entzerrer ein und notierte die Wortgruppen.
    »Sofort melden! Sofort melden! Stufe I. Stufe I. Sofort melden!«
    Dewjatow kratzte sich den Schädel, zögerte und schaltete dann auf Sendung. Nur das kurze ›HÖRE‹ funkte er hinaus und stellte dann sofort ab.
    »Da ist er!« schrie Slobin in der Peilzentrale und fuhr vom Stuhl, als habe man ihn durch den Sitz gestochen. »Da! Haben Sie's gehört, Genosse? Ganz in der Nähe –«
    Der Kapitän vom KGB in Odessa nickte mißmutig. »Eine Sekunde! Und jetzt nimmt er die Meldung entgegen, und wir sitzen hier wie die Hohlköpfe, die sich in die Hosen gepißt haben!«
    »Er wird antworten, Genosse Kapitän. Er muß antworten. Und dann haben wir ihn!« schrie Slobin heiser vor Erregung. »Er sitzt vor unserer Nase! Nur Geduld, Geduld, meine Freunde –«
    Aber die Geduld zahlte sich nicht aus. Das ferne Hacken verklang, und Dewjatow antwortete nur: VERSTANDEN. Das genügte natürlich nicht für eine exakte Peilung. Kapitän Slobin war dem Weinen nahe.
    »Ein Lump!« brüllte er. »Ein feiger Hund! Oh, wenn ich ihn entlarve! Ich zerhacke ihn wie seine Funksprüche –«
    »So werden wir ihn nie lokalisieren«, sagte der KGB-Kapitän aus Odessa. »Wenn er ein Einzelgänger ist, vielleicht sogar ein Russe, kann er neben uns stehen und uns treu anblicken … wir erkennen ihn nie. Hier kann uns nur der Zufall helfen. An Glück, Genossen, glaube ich nicht. Aber Zufälle sind die Verbündeten der Fleißigen. Seien wir also fleißig –«
    An diesem Tage waren wieder vier Peilwagen aus Kiew im Einsatz und fuhren, als harmlose Lastwagen getarnt, kreuz und quer durch Winniza. Tag und Nacht, in drei Schichten. In den Funkräumen des Nachrichtenbataillons saßen die Spezialisten vor ihren geheimnisvollen elektronischen Ohren.
    Warten … warten … warten … Die große, unerreichbare Kunst der Russen.
    Nur einen kleinen, aber verhängnisvollen Fehler gab es bei all' dieser Perfektion, und keiner merkte es: Der Funkwagen Nr. II hatte eine Panne. Die Bremsleitung war undicht. Und da die beste Autowerkstatt in Winniza die Reparaturbrigade der Sowchose war, ließ man die Genossen von der Landwirtschaft die Bremsleitungen durchsehen.
    Einer der Mechaniker, die mit großer Hochachtung unter dem Auto lagen, war Awdej Konstantinowitsch Dewjatow. Von einem der Techniker erfuhr er, unter guten Freunden hinter der Hand, daß noch drei andere getarnte Wagen herumsuchten.
    »Eine große Sache, Genosse!« sagte der Techniker. »Eine ganz große Sache, sage ich!«
    Man brauchte Dewjatow davon nicht zu überzeugen.
    Erfindungsreichtum und Improvisieren ist eine der großen Tugenden der Russen. Wo andere Menschen bis ins kleinste durchkonstruieren und von jeder Schraube Detailzeichnungen anfertigen mit Ansicht, Aufsicht, Querschnitt, da sieht ein Russe nachdenklich drein, überlegt ein wenig mit nach innen

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