Das doppelte Rätsel
allen Dingen, die Triebwerke und besonders Reaktoren betrafen. Auch jetzt ging er, obwohl er die Untersuchung für überflüssig und die Vorstellungen des Kommandanten für ausgemachten Unsinn hielt, sorgfältig und systematisch zu Werke. Gemeinsam mit zwei Monteuren löste er die Verkleidung des Antriebsteils. Kleine Kräne hoben die vier Schalen ab und fuhren sie ein Stück in den Hintergrund der Halle hinein. Nun lag das Triebwerk offen vor ihnen — für den Laien genauso verwirrend wie jeder andere Motor, nur in größeren Maßstäben; denn genau, wie die anderen Motoren nahm das eigentliche Antriebsaggregat — aktive Zone des Reaktors, Brennkammern und Düsen — den geringsten Platz ein und wurde fast vollständig verdeckt vom Zubehör: Treibstofftanks, Brutring, Regler, Vorwärmerstufen, Pumpen und so weiter. Die drei Fachleute jedoch bewegten sich zwischen alldem so sicher wie Fledermäuse in einem Gewirr von ausgespannten Fäden.
Sie gingen nach einem genauen Plan vor, maßen, prüften, kontrollierten alles, obgleich es eigentlich nur zwei Punkte gab, in denen Wirkungen möglich waren, die eventuell die These des Kommandanten hätten stützen können: der Reaktorausbrand und der Treibstoffverbrauch. Träfe zu, was der Kommandant vermutete, so müßte der Ausbrand höher und der Treibstoffverbrauch niedriger liegen als normal, aber es war zweifelhaft, ob diese Differenzen überhaupt meßbare Größe haben würden. An den Treibstofftanks stellte der Ingenieur jedenfalls keine Abweichung vom Normalen fest. Er blickte sich nach den beiden Monteuren um, wie weit sie mit ihren Arbeiten wären. Dann stieg er aus dem Antriebsteil der Rakete heraus und ging in den Hintergrund der Halle zu einem großen Gerät, das ungefähr einer Lafette mit Schutzschild glich, wie sie bei den Kanonen früherer Jahrhunderte üblich waren. Er setzte sich hinter das Schutzschild und fuhr das Gerät bis dicht an die Rakete heran. Dann ließ er einen an der Frontseite angebrachten Scheinwerfer dreimal aufleuchten. Einer der beiden Monteure kam daraufhin aus dem Gewirr von Leitungen und Behältern heraus, der andere hob zum Zeichen, daß er verstanden habe, mit einer raschen Bewegung und ohne den Arbeitsrhythmus zu unterbrechen, den linken Arm. Wenig später kam auch er herunter.
Henri Bernaud fuhr nun ganz dicht an die Rakete heran, steckte dann die Hände in dafür vorgesehene Stulpen und setzte die Füße auf Pedalen. Aus dem Schutzschild fuhren zwei lange metallene Arme mit mehreren Gelenken hervor und wuchsen in das Triebwerk hinein. Ihre Spitzen trugen klauenförmige Werkzeuge, die sich nun dem Reaktorblock näherten. Die rechte Klaue schraubte, durch die Bioströme in der Hand des Ingenieurs gelenkt, eine der vielen Kappen ab, die die Oberfläche des Reaktorblocks wie Warzen bedeckten, und zog einen Brennstoffstab einige Zentimeter aus dem Block heraus. Die linke Klaue übernahm dann den Stab, während die rechte mit ihrer scharfen Kante daran schabte. Darauf drückte die linke den Stab wieder hinein, bildete eine Mulde, in die die rechte Klaue die abgeschabten Späne klopfte, und zog sich zurück, während die rechte wiederum die Kappe aufschraubte. Dann fuhr das Gerät in den Hintergrund der Halle zurück, und die Monteure machten sich daran, das Triebwerk wieder zu verkleiden.
Der Ingenieur verstaute die Probe in einem kleinen Bleibehälter, verließ damit die Halle, entledigte sich nach der Entaktivierung des Schutzanzugs und ging ins Labor.
Aber auch bei der Analyse der Probe stellte sich nichts Sensationelles heraus. Der prozentuale Ausbrand wich nicht vom erwarteten Wert ab.
Bernaud hätte nun eigentlich zufrieden sein können, aber er war es nicht. Er spürte, daß ihm die Bestätigung der Fejnbergschen These immer noch lieber gewesen wäre als dieses nichtssagende Ergebnis.
Der Kommandant, der Arzt und Pollux betraten als letzte den Sitzungsraum der Untersuchungskommission — der Kommandant ernst, der Arzt erregt und Pollux finster und in sich gekehrt.
Der Kommandant nahm sofort das Wort. „Bevor wir unsere Arbeit fortsetzen, muß ich Sie von einem Umstand informieren, durch den unsere Aufgabe außerordentlich schwer und ernst wird. Unser kranker Genosse, der Kopilot der FR siebzehn, braucht innerhalb von drei bis vier Tagen eine Spezialbehandlung. Professor Mirano in Rom, wahrscheinlich der einzige, der dazu in der Lage ist, hat sich bereit erklärt, hierher zu kommen. Inzwischen hat aber der Chef der
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