Das Dorf der Katzen
festgemacht, so dass es von oben nicht zu sehen war. Das Kind hatte er mit einer einzigen kleinen Bewegung von Zeige- und Mittelfinger seiner rechten Hand zum Schweigen gebracht: Es sah ihn stumm und aus großen aufmerksamen Augen an.
„Kasaffa“, sagte der Mann. „Kasaffa - der glücklich Entronnene. So wird fortan dein Name sein. Erziehen werde ich dich zum Sohn der Löwin, zu ihrem Diener und Kämpfer bis an dein Lebensende. Ich werde dir die nötige Macht dazu geben!“
Nach einiger Zeit machte er das Boot wieder los und ließ es flussabwärts treiben, aus der Stadt hinaus.
Das war vor achtundfünfzig Jahren gewesen. Jetzt war er hier. Er hatte die versprochene Macht erhalten. Nur einer hatte noch mehr Macht. Es war der Unbekannte, der sich N’gahar nannte. Der Meister.
ΦΦ ΦΦ
Vera macht sich mit Ioannis auf den Weg zu o Gerontas. Sie gingen ein Stück durch das Dorf. Die Katzen, die bei Veras Ankunft ihren Weg gesäumt hatten, waren verschwunden. Vera sagte es Ioannis. Der nickte. „Sie wissen jetzt, wessen Dienerin du bist“, sagte er, „damit gehörst du zu uns und zu ihnen. Du wirst hier nicht mehr misstrauisch beobachtet werden.“
Sie kamen an einem Haus an, das sich wie das, unter dem der Versammlungssaal der Wissenden lag, von den übrigen Häusern im Ort unterschied. Allerdings nicht durch Schmucklosigkeit, sondern eher durch das Gegenteil.
Es war in einem leuchtenden Hellblau gestrichen. Auf halber Mauerhöhe zog sich ein doppelt handbreiter Streifen in Gold um das Haus, was ihm einen sehr edlen und repräsentativen Charakter verlieh. Ioannis deutete den Blick von Vera richtig und zeigte lächelnd auf das Haus, das im Dorfensemble direkt prunkvoll wirkte.
„Katzen sind Schöngeister“, sagte er. „Sie lieben es außergewöhnlich!“
Vera dachte an Saphir und die Selbstverständlichkeit, mit der er von Anfang an ihre schöne teure Bassetti-Decke beschlagnahmt hatte. Sie nickte zustimmend.
Sie gingen um die Ecke des Hauses und kamen an die Türseite. Eine wuchtige goldfarbene Tür griff farblich die Idee des Zierstreifens auf.
Vera traute ihren Augen kaum: Links und rechts der Tür saß je eine Katze auf ihrem Hinterteil, die Vorderbeine durchgestreckt und die Brust herausgedrückt. Aufmerksame Augen- und Ohrenpaare waren auf sie und Ioannis gerichtet.
„Das sind die ‚Wächter’“, sagte Ioannis leise und irgendwie ehrfurchtsvoll. „Es gibt insgesamt vier davon und sie sind so etwas wie die Bodyguards von o Gerontas. Leg’ dich nicht mit ihnen an - du hättest nicht den Hauch einer Chance.“
Vera glaubte ihm sofort, als sie beim Näherkommen in den beiden Türstehern zwei der Katzen erkannte, die den Ch’quar niedergekämpft hatten. Dieses Bild würde sie nie vergessen, auch wenn ihr absolut nicht klar war, wie vier europäische Kurzhaarkatzen, noch dazu die zierliche mediterrane Form mit ihren Anleihen bei der ägyptischen Falbkatze, mit einem derartigen Gegner fertig werden konnten.
Ioannis senkte grüßend leicht den Kopf, als sie an den beiden Wächtern vorbei gingen. Diese zeigten keine Körperregung.
„Wie die Wachsoldaten vor dem Buckingham Palace“, dachte Vera.
Sie gingen durch die Tür, die zu Veras heimlicher Belustigung unten mit zwei Katzenklappen versehen war und gelangten in einen Raum, der von den Abmessungen her einen Großteil des Hausgrundrisses einnehmen musste.
Der Raum war leer, auch hier war der Boden mit feinem sauberem Sand bedeckt.
An einer Stirnwand war ein Podest aufgebaut, das Vera im ersten Moment an ein Siegertreppchen bei Wettkämpfen erinnerte. Zwei niedrige Hocker flankierten einen etwa doppelt so hohen.
Auf den beiden niedrigen posierten die zwei anderen Wächter in der gleichen majestätischen Körperhaltung wie ihre beiden Kollegen vor der Tür.
Auf dem mittleren Hocker saß eine große Katze, die Vera aus unergründlichen Augen fixierte.
Sie hatte schwarzes Fell mit einem Stich ins Mahagonifarbene und wenigen helleren Strähnen. Das Fell war nicht durchgehend kurz, sondern um den Hals, an den Flanken und am Schwanz länger, was ihr eher das Aussehen einer fast schwarzen norwegischenWaldkatze verlieh.
„Das ist o Gerontas“, sagte Ioannis. „Oberster der Abbilder, direkter Vertrauter und Sprecher DER EINEN. Er spricht mit Bastet und Bastet spricht durch ihn. Erweise ihm also Respekt.“
Vera trat einen Schritt näher. Sofort kam vom Linken der Wächter ein leiser aber drohender Brummton. Sie blieb abrupt
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