Das Dorf der Mörder
davor geparkt. Vor dem Eingang standen zwei weitere Polizisten in Uniform. Mittlerweile musste der halbe Bereitschaftsdienst Berlins zum Tierpark abgezogen worden sein. Es war ja auch eine nette Abwechslung. Die meisten Tatorte waren nicht so grün, und mit etwas Glück erhaschte man auch noch einen Blick auf die Pfauen, die mit königlicher Gelassenheit ihre schillernden, prächtigen Federschleppen hinter sich herzogen und die Betonpiste zu ihrem Laufsteg machten. Sie stieg aus und bat die beiden, die Kiste vom Anhänger zu laden und ins Haus zu tragen. Sie sagte nicht, was sich darin befand.
Sie ging voraus in einen großen, fast leeren Raum, in dessen Mitte ein riesiger Stahltisch stand. Der Geruch von frischem Blut, Wild und Urin stieg ihr in die Nase. Alte Fliesen, wohl noch aus DDR -Fabrikation, kleine Fenster, dicke Rohre, auf denen sich rußiger Staub abgesetzt hatte. Die Fußbodenka cheln waren nass, jemand musste sie eben abgespritzt haben. Ein Tierparkmitarbeiter in Gummischürze beförderte gerade per Flaschenzug etwas in die hinterste Ecke, das aussah wie ein ausgewaideter Antilopenbock.
Sanela erinnerte sich an eine Zeitungsmeldung. Entsetzte Zoobesucher hatten mit ansehen müssen, wie ein totes Zebra an die Löwen verfüttert worden war. Sie riss den Blick von der dunklen Bauchhöhle der Antilope los und konzentrierte sich auf die Instrumente, die die Mitarbeiter der Spurensicherung neben dem Stahltisch anordneten. Ein älterer Mann in weißem Overall leierte gerade herunter, was sie bisher gefunden hatten: ein halber Oberschenkel. Eine Hand. Etwas, das Teil des Rückens gewesen sein könnte.
Sie ließ die Kiste auf den Tisch stellen. Der ältere Mann hob den Deckel und ließ ihn mit einer resignierten Geste wieder fallen.
»Danke. Jetzt haben wir ihn ja fast zur Hälfte zusammen.«
Sanela schluckte. Sie hatten um sechs ihren Dienst begonnen und früh Mittagspause gemacht. Friedrichsfelde lag weit im Osten, und sie hatte die Gelegenheit genutzt, um in der Datsche in Köpenick nach dem Rechten zu sehen. Ihr Vater hatte ihr eine Dose Ravioli geöffnet. Die Ravioli lagen ihr wie Steine im Magen. Vielleicht hatte der Tierarzt Buscopan dabei.
»Entschuldigen Sie die Störung.«
Der Mann im weißen Overall drehte sich so langsam nach ihr um, als ob er das genau nicht täte.
»Polizeimeisterin Sanela Beara. Ich war als Erste am Fundort.«
»Jochen Haussmann.« Er versuchte, höflich zu sein. Alles, was er jetzt sagte, konnte er wenig später dem Leitenden noch einmal erzählen. Sie trat näher an den Tisch und betrachtete die Instrumente. Dabei fragte sie sich, ob die Tiere geschlachtet oder nur operiert werden würden. Bei Kampfhunden wäre das keine Frage. Aber ein Dutzend Pekaris?
»Ein Mann?«, fragte sie. Das war keine Vernehmung, sondern Neugierde.
»Anzunehmen. Knöchel breit, behaart. Circa fünfzig bis sechzig würde ich vermuten. Das wird ein hartes Stück Arbeit.«
»Können Sie mir sagen, ob es ein Unfall war?«
Haussmann unterdrückte einen Seufzer. »Ich bin nicht Hanussen. Aber die Hand wurde abgebissen. Die Leichenteile, die bis jetzt gefunden wurden, weisen ähnliche Verletzungen auf.«
»Der Todeszeitpunkt?«
»Da müssen Sie sich noch ein wenig gedulden. Das ist ja hoffentlich nicht alles, was von dem Opfer übrig geblieben ist.«
Er musterte sie etwas wohlwollender. Vielleicht auch mitleidig. Sie konnte sich denken, welchen Eindruck sie auf ihn machte. Eine Knöllchenverteilerin an einem Tatort. Aber er wusste nicht, dass sie ihre Bewerbung für den gehobenen Dienst und ein Studium an der Hochschule für Wirtschaft und Recht bereits an die ZSE 1 abgeschickt hatte. Das wusste keiner in der Sedanstraße. Nur der Dienststellenleiter, denn der musste den Aufstiegsvermerk ausstellen. Dass es dabei nicht immer um die Eignung ging, war bekannt. Sie gehörte nicht zu den Lieblingen. Sie war eine von denen, die die Zähne zusammenbissen und den Glauben nicht verlieren wollten, dass Fleiß und Leistungsbereitschaft auch noch zählten. Und der Wille. Ein eiserner Wille. Ein Wille aus Stahl. Kriminalhauptkomissar Gehring aus der Sedanstraße musste jeden Moment hier sein. Sie merkte, wie ihre Handflächen feucht wurden. Das gab es so gut wie nie, dass der Leiter der Mordkommission mit einer Streifenpolizistin aus seinem Stall an einem Tatort war. Sie würde diese Chance nutzen. Koste es, was es wolle.
»Könnte es heute Nacht passiert sein? Ein Betrunkener vielleicht, der über das
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