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Das Dorf der Mörder

Das Dorf der Mörder

Titel: Das Dorf der Mörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Herrmann
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Gatter geklettert ist und von diesen Urwaldschweinen angegriffen wurde?«
    Haussmann hatte mit Sicherheit drei Doktortitel, mehrere Honorarprofessuren und eine Veröffentlichungsliste so lang wie das Vorstrafenregister eines Intensivtäters. Und Geduld. Geduld mit einer neugierigen, ehrgeizigen, etwas zu klein geratenen Streifenpolizistin, und das rechnete sie ihm hoch an.
    »Ich konnte auch nicht mehr als einen Blick darauf werfen. Wir müssen abwarten, was wir noch im Magen dieser – wie heißen die Viecher?«
    »Pekaris.«
    »Dieser Pekaris finden. Die Wundränder sind punktuell unterblutet. Hämatome im Wundrandbereich lassen darauf schließen, dass der Mann noch gelebt hat, als er zerlegt wurde.«
    »Zerlegt? Sie sagten doch gerade …«
    Ihr Blick fiel auf die Knochensägen und Beile, die an der Wand hingen.
    »Gefressen«, korrigierte er sich. »Es tut mir leid. Ich muss ehrlich sagen, dass ich so etwas noch nicht erlebt habe. Kampfhunde kamen mir schon mal unters Messer. Vor allem, wenn sie Kinder angegriffen haben. Aber Schweine …«
    Mir wird schlecht, dachte sie. Ist es das, was mich erwartet, wenn ich mein Ding wirklich durchziehen will?
    »Der Veterinär wird gleich hier sein. Die Tiere auch. Danach sehen wir weiter. Alles, was bisher gefunden wurde, ist schon auf dem Weg ins Labor.«
    Haussmann streifte seine Gummihandschuhe ab. »Verdauung ist der aggressivste Vorgang, den sich die Natur ausgedacht hat. Geht bei Tieren ähnlich schnell wie beim Menschen. Nun denn. Lange nicht mehr im Zoo gewesen. Gibt es irgendwo Kaffee?«
    Tierpark, dachte sie rebellisch. Das hier ist der Tierpark und nicht der Zoo. Aber das wussten auch nur die aus dem Osten. Haussmann sah aus wie einer, der in Heidelberg studiert hatte und diese ganze absurde Geschichte bei der nächsten Feuerzangenbowle mit Freuden zum Besten geben würde.
    »Ich lasse Ihnen einen bringen«, sagte sie. Er würde ihn brauchen.
    »Mir auch einen.«
    Sanela fuhr herum. Ein Mann Mitte dreißig in einem sommerlichen, hellen Leinenanzug war auf leisen Gummisohlen herangetreten und reichte Haussmann die Hand.
    »Herr Professor Haussmann. Tut mir leid, aber es ging nicht schneller. Was haben wir denn da?«
    Haussmann musterte die Erscheinung des Mannes mit einem rätselhaften Blick. Gehring war groß, breitschultrig, durchtrainiert und so offensichtlich der Meinung, gutaussehend zu sein, dass niemand ihm ernsthaft widersprechen wollte. Seine Haare waren raspelkurz, er trug mit Vorliebe enge, hauchdünne Rundhalspullover und T-Shirts, die seine Schultern und Oberarme betonten, und aus nicht nachvollziehbaren Gründen die Hosen eine Nummer zu klein. Sein Kopf war schmal, als hätte man ihn kurz nach der Geburt zwischen eine Presse gelegt. Das gab seiner Erscheinung etwas Unproportioniertes, was durch die schmale Nase und den scharf geschnittenen Mund noch betont wurde.
    »Sehen Sie selbst. Aber ich warne Sie. Kein schöner Anblick.«
    »Das bin ich gewohnt.«
    Haussmann machte eine einladende Handbewegung. Die beiden kannten sich, und Sanela hatte das Gefühl, für eine Zehntelsekunde so etwas wie ein leicht boshaftes Glitzern in Haussmanns Augen zu entdecken. Gehring öffnete mit sichtbarer Neugierde den Deckel, ließ ihn fallen, gab ein Stöhnen von sich und kramte mit Mühe ein benutztes Tempo aus der Vordertasche seiner angeknitterten Hose.
    »Oh mein Gott. Ich halte mich an die Fotos.«
    »Das erleichtert unsere Arbeit.«
    »Was können Sie mir schon sagen? – Ach, Frau Beara.« Er wandte sich an Sanela, ohne ihr die Hand zu reichen. Sie zuckte zusammen, denn sie hatte bis zu diesem Moment nicht angenommen, dass er ihren Namen kannte. »Schwarz, ohne Zucker, ohne Milch. Großartige Arbeit. Danke. Sie sehen nicht gut aus. Ganz grün um die Nase. Holen Sie sich auch einen. Und schaffen Sie uns den Zoodirektor heran. So schnell wie möglich.«
    »Das ist der Tierpark«, sagte sie. Aber Gehring hörte nicht zu.
    Sanela ging hinaus. Der Fahrer hatte mitsamt seinem Elektroauto das Weite gesucht. Ein paar Schritte weiter fand sie mehrere Strohballen und setzte sich, bevor ihre Beine den Dienst versagten. Ganz langsam verdichteten sich die Fakten zu einem Grauen, wie Sanela es noch nie zuvor verspürt hatte. Sie hatte Unfallstellen abgesperrt. Männer von halb totgeprügelten Frauen weggezogen, einmal die Waffe benutzt, um einen Drogendealer zu fassen. Sie war vorbereitet auf das, was das Leben an Auswurf in die Gosse warf. Sie hatte Leichen gesehen mit

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