Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Dorf der Mörder

Das Dorf der Mörder

Titel: Das Dorf der Mörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Herrmann
Vom Netzwerk:
sie auf den Scheitel. Er war versucht zu fragen, ob dieses zweite Mal für sie auch nur eine nette Abwechslung war. Gerade noch rechtzeitig hielt er sich zurück. Es hätte den Moment und vielleicht noch viel mehr zerstört.
    »Wie geht es dir?« Das war unverfänglich.
    Sie umschlang seine Hüfte mit ihrem Bein. »Gut. Es ist ein bisschen wie Sport, nicht wahr? Hinterher fühlt man sich besser. Und du?«
    »Sport. So habe ich das noch nie gesehen.«
    »Wie dann?«
    Ihm fiel keine Antwort ein, die nicht mit Gefühlen verbunden gewesen wäre, also schwieg er.
    »Vielleicht Erste Hilfe?« Sie hob den Kopf und sah ihn an. »Ich würde gerne wissen, was der Psychologe in dir jetzt von mir denkt.«
    »Nichts, was dich erschüttern würde.«
    »Meine Schwester ist tot, und ich schlafe mit ihrem Arzt.«
    Sie ließ den Kopf wieder sinken und streichelte seine Brust. Jeremy mobilisierte seinen gesamten Willen, um nicht gleich wieder über sie herzufallen.
    »Wenigstens bin ich nicht deiner. Das wäre wirklich fatal.«
    »Therapeut und Patientin? Das ist doch nichts Neues.«
    »Es ist verboten.«
    Ihm schoss ein Gedanke durch den Kopf. »Cara, warst du schon einmal in Behandlung?«
    Ihre Zunge fuhr über seine Brustwarze. Im nächsten Moment durchfuhr ihn ein glühender Schmerz. Er stöhnte auf, sie lockerte den Biss.
    »He, was …«
    »Schmerz«, flüsterte sie. »Liebst du Schmerz?«
    »Nur wenn er nachlässt.«
    Sie zog sich von ihm zurück und stand auf. Sein Blick folgte ihr, wie sie bis zur Treppe ging und die Kerze hochhob. Zurück schritt sie langsam, den Blick nach unten auf die zuckende Flamme gerichtet. Sie blieb vor ihm stehen.
    »Leg dich auf den Boden.«
    »Was wird das?«
    Vorsichtig, um kein Wachs zu verschütten, stellte sie die Kerze ab. Dann beugte sie sich über ihn. Ihr Kuss war unendlich zärtlich.
    »Wir alle müssen lernen, den Schmerz zu lieben«, flüsterte sie. »Sonst bringt er uns um.«
    Sie löschte die Flamme mit den Fingern.
    Im Morgengrauen erwachte er. Er hörte den ersten Vögeln zu, die zu dieser Stunde die Stadt, die Welt und den Erdkreis für sich zu haben schienen. Er betrachtete Caras Gesicht, als wäre er ein Maler und hätte nur diesen Moment, um es sich für alle Zeiten einzuprägen. Er fragte sich, ob das Gefühl, das sich in ihm niedergelassen hatte, Glück war. Oder doch nur seine weit entfernte Verwandte, die Zufriedenheit.
    Vorsichtig, um sie nicht zu wecken, stand er auf und ging hinüber ins Badezimmer. Er versuchte, so leise wie möglich zu pinkeln, und setzte sich sogar dabei. Sein Blick fiel auf Marmor und Glas, auf Chromargan und Edelstahl. Ein Handtuch aus italienischer Baumwolle, leicht wie ein Pareo, lag auf dem Boden. Er zog es zu sich heran und überlegte einen Moment, es mitgehen zu lassen. Er wollte eine Erinnerung an Cara. Etwas Greifbares, etwas, das ihm bewies, dass er wirklich hier gewesen war.
    Er wusch sich die Hände und trocknete sich ab. Sein Blick fiel auf eine halb geöffnete Schublade unter dem langen Waschtisch. Er musste lächeln. Cara war kein Übermensch. Sie hatte genau denselben Mädchenkram in ihrem Bad wie andere Frauen auch. Bürsten, Lippenstifte, Wattepads. Sie hatte ihn nur besser versteckt.
    »Jeremy?«
    Er schob rasch die Lade zu. Sein Herz klopfte, als wäre er beim Stehlen erwischt worden. Es ging ihn nichts an, was Cara im Badezimmer versteckte. Es war der intimste Bereich einer Wohnung, und er hatte nichts Besseres zu tun, als bei der ersten sich bietenden Gelegenheit in ihren Sachen herumzuwühlen.
    Er ging zurück ins Schlafzimmer. Sie lag in den Kissen, räkelte sich wie eine junge Katze und lächelte ihn an.
    »Bist du Frühaufsteher?«
    »Nein.«
    »Dann schlaf. Und wenn es gar nicht anders geht, mit mir.«
    Er nahm sie in die Arme und küsste sie. Die Situation war alternativlos.

28
    K riminalhauptkommissar Lutz Gehring begann sein mor gendliches Fitnesstraining mit einem Fünf-Kilometer-Lauf, bei dem er sich Living Things von Linkin Park in voller Dröhnung gab. Nach der Dusche und einem schnellen Espresso im Stehen – an dem großen Küchentisch aus Eiche mit der rustikalen Sitzgruppe für sechs Personen nahm er schon lange nicht mehr Platz – überflog er den Aufmacher der Tageszeitung, die seine Frau noch abonniert hatte.
    »Tierpark-Monster: Selbstmord in U-Haft«
    Manchmal fragte er sich, wer diese Überschriften erfand. Er hatte einmal gehört, dass sie von Redakteuren stammten, die ohne Kenntnis des Artikels einfach

Weitere Kostenlose Bücher