Das Dorf der Mörder
rausgefunden. Oder denken Sie, der Penner meldet sich freiwillig?«
»Wie hieß Leyendeckers Kollege?«
»Maxe. Maximilian Göhler. Das war Winter fünfundneunzig sechsundneunzig.«
Gehring schrieb den Namen auf. »Ich werde mir die Akte nochmal ansehen, Herr Vieritz. Aber viel wichtiger wäre für mich, Herrn Leyendeckers Bewegungsprofil vor dem Tod seines Kollegen erstellen zu können. Gibt es keine Unterlagen mehr aus dieser Zeit? Bewirtungsbelege? Hotelrechnungen? Fahrtenbücher?«
»Da müsste ich die Sonja fragen. Die ist die Einzige, die schon so lange bei uns ist. Die macht auch die Buchhaltung.«
Gehring bat Vieritz, das zu tun, und beendete das Gespräch.
Gülle. Schweine. Trog. Göhler, Leyendecker und der Bäcker von Wendisch Bruch. Drei Männer, deren Todesumstände außergewöhnlich waren. Gehring ließ die Spitze des Bleistifts über das Papier tanzen. Er spürte, wie er unruhig wurde. Dieses Gefühl bekam er immer, wenn vage Verdachtsmomente einen Cluster bildeten. Er wollte sich an etwas erinnern, das er schon einmal gelesen oder gehört hatte und das ihm die Ein schätzung einfacher machen würde. Klarer. Besser auf den Punkt bringen. Er sah auf die Uhr. Viertel nach acht. Die Dienstbesprechung begann erst um neun. Er stand auf und zog den Ordner mit der Akte Rubin aus dem Schrank. Er begann mit dem Protokoll des Leitenden Ermittlungsbeamten – seinem –, überschlug den Obduktionsbefund und konzentrierte sich auf die Zeugenaussagen.
Kinder.
Beara hatte mit Kindern gesprochen. Aber die hatte sie in ihrem Bericht nur kurz erwähnt. Erst am Ende stieß er auf den Satz, den er gesucht hatte. Er ließ den Ordner sinken, lehnte den Kopf zurück und starrte an die Decke.
Er wollte gar nicht erst darüber nachdenken, was dieser Satz bedeutete. Er stellte alles an Ermittlungsarbeit in Frage, das sie zusammengetragen hatten. Er könnte dazu führen, dass das BKA eingeschaltet werden musste, Interpol, alle sechzehn Landeskriminalämter. Sein Chef. Der Staatsanwalt. Vor allem aber würde er beweisen, dass sie alle versagt hatten. Alle, bis auf eine Streifenpolizistin. Wenn er diesen einen Satz ernst nehmen würde.
Diesen einen Satz, der die Verbindung zu drei Toten herstellte und vielleicht den Beginn einer landesweiten, europaweiten Suche nach weiteren Vermissten markierte.
… sie erklärte mir, dass sie Rattenzüchterin geworden ist, weil ihre Familie aus der Landwirtschaft kommt und sie nach Bauernart töten.
Gülle. Schweine. Trog. Töten nach Bauernart.
Er beschloss, Sanela Beara und sich selbst einen Gefallen zu tun. Er würde zwei Gespräche führen. Von deren Verlauf und Ergebnis würde er weitere Ermittlungen abhängig machen. Er griff zum Telefon.
Prahm, der Revierpolizist der Polizeiwache Teltow, ein nicht mehr ganz junger Mann mit ächzendem Atem, fand seine Anfrage so merkwürdig, dass er mehrfach nachhakte, ob er Gehring auch richtig verstanden hätte.
»Wendisch Bruch? Vor fast zwanzig Jahren?«
»Ja. Harald Schmidt, Erich Wahl, Gisela und Walter …«
»Die Webers?«
»Kannten Sie sie?«
»Nein, kennen ist zu viel gesagt. Weber hatte die Metzgerei, wir haben da öfter unsere Krakauer geholt. Der konnte noch richtige Würste machen, sage ich Ihnen.«
Weber, notierte Gehring hinter die beiden Vornamen. »Und was aus ihnen geworden ist, wissen Sie das?«
»Die sind weggezogen, glaube ich. Ist ja schon lange her. Mitte der Neunziger begann das ganze Elend hier. Da sind viele weg, um nochmal ganz von vorn anzufangen. Tja.«
Das letzte Wort dehnte Prahm mit einem Ausatmer zu einem wortlosen Kommentar.
»Und Harald Schmidt und Erich Wahl?«
»Sagt mir gar nichts. Nee.«
Gehring holte das zerknüllte Papier, auf das er die letzte Nachricht Bearas in Stichpunkten notiert hatte, wieder aus dem Papierkorb und dankte seinem Dienstherrn, dass diese auf Grund von Sparmaßnahmen nur noch zwei Mal wöchentlich geleert wurden. »Könnten Sie herausfinden, wer alles von dort weggezogen ist und falls bekannt wohin? Und wie die Besitzverhältnisse des Aussiedlerhofes sind.«
»Das ist Sache vom Melderegister und Katasteramt. Ich kann Ihnen da nicht viel Hoffnung machen. Damals haben wir noch mit ISVB und nicht mit POLIKS gearbeitet. Wenn, dann liegt das im Archiv Luckenwalde.«
Gehring unterdrückte ein ungeduldiges Stöhnen. Das uralte Vorgangsverwaltungssystem war erst vor einigen Jahren durch ein moderneres ersetzt worden. Er erkannte, dass sich sein Ermittlungsersuchen an diese
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