Das Dorf der Mörder
kleine brandenburgische Polizeiwache schwierig gestalten könnte.
»Ich will Ihnen keine unnötige Arbeit aufbürden. Aber vielleicht erinnert sich noch einer der älteren Kollegen von Ihnen an ungeklärte Vorfälle in Wendisch Bruch?«
»Ich bin der Älteste.«
»Der Bäcker, der damals im Teig erstickt ist. So etwas in der Art meine ich.«
Schweigen. »Davon weiß ich nichts«, sagte der Mann schließlich, ehrlich überrascht.
»Wäre es möglich, seine Identität zu klären und herauszufinden, wer den Totenschein ausgestellt hat?«
»Ich kümmere mich darum. Aber das kann dauern. Wir sind hier nur ein kleiner Revierposten. Wenn es dringend ist, dann fordern Sie doch Verstärkung aus Luckenwalde an.«
Womit seine Anfrage wahrscheinlich in den Ablagekorb wanderte.
Das zweite Gespräch führte er mit Gerlinde Schwab. Polizeikommissarin mittlerer Dienst, Schwerpunkt Aktenführung. Ein verblühtes Talent, eine enttäuschte Hoffnung. Mit brillanten Zeugnissen an den Start gegangen und über die Jahre immer weiter nach hinten gerutscht, wenn es um Beförderungen und Kompetenzen ging. Sie war nun Ende vierzig und hatte alle Ambitionen begraben, nur eine nicht: krankheitsbedingt so schnell wie möglich den Vorruhestand zu erreichen. An diesem Ziel arbeitete sie mit Fleiß und Ausdauer. Die Zahl ihrer Krankheitstage überwog die ihrer Anwesenheit um einiges, und der leidende Zug um den Mund, den sie sich angewöhnt hatte, forderte Fragen nach dem Befinden heraus, die man spätestens dann bereute gestellt zu haben, wenn sie den jüngsten Schub ihrer Gürtelrose detailreich beschrieb. Schwab anzurufen und sie um diese Uhrzeit am Apparat zu haben grenzte an ein Wunder. Sie tatsächlich dazu zu bringen, in den dritten Stock zu kommen, setzte ihrem guten Willen die Krone auf.
»Die Kinder«, begann Gehring ohne Umschweife, als sie hereinkam, und sah auf seine Armbanduhr. Noch zehn Mi nuten bis zur Lagebesprechung. Er wusste, dass sie nur auf den Moment lauerte, in dem sie sich über die Unzumutbarkeit ihres anstrengenden Dienstes am Schreibtisch auslassen konnte. Dazu sollte sie erst gar keine Möglichkeit bekommen.
Schwab schloss die Tür. Sie hatte in den letzten Jahren ziemlich zugelegt und versteckte ihren Körper hinter weiten Kleidern und wallenden, übereinandergeschichteten Lagen von organisch gefärbtem Stoff. Ihr rundes Gesicht zierte eine John-Lennon-Brille, die hennarot gefärbten Haare klebten in kleinen Löckchen am Schädel. Die Anstrengung, zwei Stockwerke nach oben zu laufen, hatte sie klatschmohnrot anlaufen lassen. Gehring bemerkte ihre geschwollenen Knöchel. Vielleicht war sie doch krank.
»Kinder?«, schnaufte sie und nahm auf dem Besucherstuhl Platz. Sie nestelte ein Papiertaschentuch aus dem Ärmel ihrer Bluse und tupfte sich damit kleine Schweißperlen auf der Stirn ab.
»Vor ein paar Tagen hatte ich Sie darum gebeten, mit Luise Hoffmann und Dilshad Said im Zusammenhang mit dem Tierpark-Mord zu sprechen. Die beiden haben als Erste die Hand im Pekari-Gehege entdeckt und vielleicht weitere Beobachtungen gemacht. Haben Sie das getan?«
»Ja. Natürlich.«
»Und warum erfahre ich nichts über die Befragung?«
»Jedes Mal, wenn ich mich hinsetzen wollte, kam was dazwischen. Ich erledige das sofort.«
Sie lief noch röter an, falls das überhaupt möglich war.
»Sie sollen angeblich einen Clown am Leichenfundort gesehen haben, mit einer Schubkarre. Wurde Ihnen das bestätigt?«
Schwab zerknüllte das Taschentuch. »Eigentlich nicht.«
»Könnten Sie das etwas präzisieren?«
»Die Eltern wollten nicht, dass nochmal jemand mit ihnen spricht. Sie sind doch erst sechs Jahre alt. Vielleicht müsste man einen Kinderpsychologen zu dem Gespräch hinzuziehen. Ich wollte Sie deshalb auch nochmal sprechen.«
Gehring überschlug, wie viele Tage seit Erteilen des Auftrags und dieser Aussage vergangen waren. Er beschloss, nicht sich zu ärgern, sondern sie.
»Kann ich Sie mit einer anderen Aufgabe betrauen?«
»Ich weiß nicht … ich hab heute noch einen Arzttermin.«
»Wenn es nichts Akutes ist, könnten Sie den vielleicht auf die Zeit nach Dienstschluss legen.«
Doch Frau Schwab wusste um ihre Rechte. »Es ist akut, und ich bin nicht verpflichtet, Ihnen darüber Auskunft zu geben. Außerdem gehe ich freitags immer um eins.«
»Gut.« Gehring klappte den Aktenordner zu und hielt ihn hoch, damit sie die Aufschrift auf dem Rücken lesen konnte. »Hier drin befindet sich der Untersuchungsbericht
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