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Das Dorf der Mörder

Das Dorf der Mörder

Titel: Das Dorf der Mörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Herrmann
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die ihn seit Rubins Tod plagten, war dies noch die geringste aller Verfehlungen. »Er hat sie in meiner Praxis kennengelernt.«
    »Und da … da lässt du so etwas zu?«
    »Er ist erwachsen. Und er weiß, was er tut.«
    Jeremys Vater sah das anders. »Mein Sohn ist mit der Schwester einer Psychopathin zusammen? Diesem Ungeheuer, das einen Mann bei lebendigem Leib zerfleischen ließ? Mein Gott, Brock!«
    Brock machte eine beschwichtigende Handbewegung. Mechthild und Henny waren beinahe am Grill angelangt. Sie hatten nicht mehr viel Zeit. Aber Saaler war immer noch nicht versöhnt mit der Aussicht, seinen Sohn in den Händen einer offenbar Verrückten zu wissen. »Wenn zwei Menschen dasselbe erleben, wie hoch ist dann die Wahrscheinlichkeit, dass sie auch dasselbe daraus machen? Die eine hat im Tierpark einen Menschen getötet. Und die andere hasst Babys. Das öffnet makabren Phantasien Tür und Tor.«
    »Du bist Arzt«, erwiderte Brock. »Kein Phantast.«
    Saaler trank einen Schluck Wein. Mechthild und Henny bahnten sich langsam ihren Weg durch die Tische zu ihnen zurück.
    »Welche Paramnesien meinst du?«, brummte Saaler.
    »Bellende Dorfhunde. Und, wie ich gerade erfahren habe, Kindergeschrei.«
    »Frag einen Neurologen.«
    »Ich frage dich.«
    Saaler schob seinen Unterkiefer vor wie ein Pitbull kurz vor dem Angriff. »Nahtod. Wahn. Drogen. Religiöse Verzückung. Epilepsie. Cortexschädigung. Venenverschluss. Brock!«
    »Ich brauche keine Diagnose. Ich will eine Deutung.«
    »Dann mach eine Rückführung! Ich bin kein Schamane!«
    Henny erreichte den Tisch als Erste und riss erstaunt die Augen auf.
    »Schamanismus? In diesem Kreise erlauchtester Wissen schaftler?« Sie stellte einen Teller mit gegrillten Langusten vor Saaler ab. Sich selbst hatte sie immerhin einen Salat gegönnt. Mechthild hatte für Brock und sich je ein Steak mitgebracht.
    Saaler brummte etwas und knackte das erste der Schalentiere. Brock konnte ihm ansehen, dass seine Gedanken einzig und allein um seinen Sohn und dessen fragwürdigen Umgang kreisten.
    Den Rest des Abends verbrachten sie mit leichten Gesprächen, bei denen die Frauen die Federführung übernahmen und sie mit Klatsch und witzigen Bemerkungen über die anderen Gäste unterhielten.
    Eher als Brock vermutet hatte, waren zwei Stunden vergangen. Mechthild saß fröhlich vor ihrem vierten Glas Champagner, und auch die Flasche Meursault war schon längst gegen eine zweite ausgetauscht worden. Sie bestellten die Rechnung, stritten sich ein wenig, wer den anderen einladen durfte – Saaler gewann –, und machten sich gemeinsam auf den Weg nach draußen. Die Männer gaben sich die Hand, die Frauen verabschiedeten sich innig mit Wangenküssen. Ein Bild, das täuschte, wie Brock noch auf dem Nachhauseweg erfuhr.
    »Ich verstehe das einfach nicht«, sagte sie, bei ihm eingehakt, als sie die Clayallee hinunterliefen und die Linden ihren betörenden Duft ausströmten. »Sie ist jung, intelligent, witzig – warum tut sie sich das an mit diesem alten Mann?«
    Er blieb stehen und küsste sie auf die Wange. »Saaler und ich sind fast der gleiche Jahrgang. Also – warum tust du dir das an?«
    »Weil ich dich liebe?«, fragte sie ihn und wärmte Brocks Herz damit wie schon seit dreißig Jahren. Sie war und blieb bezaubernd.
    »Zauberei«, murmelte Brock. Er nahm sie in den Arm und spürte, wie sie sich an ihn schmiegte.
    »Was meinst du?«
    »Ich musste gerade an Taschenspielertricks denken.«
    »Damit tust du ihr aber wirklich Unrecht.«
    »Wem?« Verwirrt sah er zu ihr hinab.
    »Ich dachte, du redest von Henny?«
    »Nein«, antwortete er, etwas aus dem Takt gebracht. »Nein, mir ging nur eine Situation in der Praxis nicht aus dem Kopf. Verzeih.«
    Sie küsste ihn auf den Mund – das hieß, ich will dich. Er erwiderte den Kuss, im Stehen, auf der Straße, beschienen vom Licht einer Laterne, wie ein junges Liebespaar, das sich nicht scheut, sein Glück überall zu zeigen – das hieß, ich will dich auch. Mit jedem Tag, den ich dich kenne, mehr.

31
    L utz Gehring entschied sich, nicht auch noch am Freitagabend ins Fitnessstudio zu gehen, sondern das Wochenende in einer Sportbar in der Nähe seiner Wohnung einzuläuten, konnte sich aber nicht richtig auf die Übertragung des Fußballspiels konzentrieren. Nach dem dritten Bier hatte sich genug Ärger in ihm angestaut, dass er sein Handy herauszog. Immer noch keine Nachricht von Beara.
    Ein fünftes Mal anrufen? Das war absurd. Was zum Teufel

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