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Das Dorf der Mörder

Das Dorf der Mörder

Titel: Das Dorf der Mörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Herrmann
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Tomatensoße, die aus einer Dose spritzte. Ihrer Verletzung nach musste sie jemand niedergeschlagen haben. Diesmal ist es dir gelungen, Charlie. Dieses Mal hast du mich richtig erwischt …
    »Hallo?«
    Ihre Stimme klang dumpf.
    »Hallo? Hilfe!«
    Niemand hörte sie. Die Stille hier unten war so dicht wie die Dunkelheit. Trotzdem musste von irgendwoher Luft hereinkommen, sonst wäre sie schon längst erstickt. Sie kroch auf und ab, tastete immer wieder nach der niedrigen Decke, Holzbohlen, fast fugenlos verlegt, saubere Arbeit, suchte jeden Quadratzentimeter ab, fand aber keinen Ausstieg, keine Falltür, nichts. Irgendwie musste sie hier hereingekommen sein. Da unter ihr nur verdreckter, mit einer zehn Zentimeter dicken Schlammschicht bedeckter Beton war und die Wände ebenfalls gemauert und glatt verputzt waren, konnte es nur einen Ausweg geben – nach oben.
    Mühsam, immer wieder unterbrochen von Hustenanfällen, maß sie anhand ihrer Körpergröße und eines Steins die ungefähre Länge und Breite ihres Verlieses. Ein Rechteck, circa zwei mal vier Meter groß. Im Dreck stieß sie immer wieder auf Steine und Äste, vielleicht noch aus der Zeit, in der diese niedrige Grube angelegt worden war. Für was? Das war kein Raum, das war eine Falle. Ein Verlies. Ein Abort. Vielleicht eine uralte Sickergrube. Schließlich ließ sie sich stöhnend auf die Seite rollen und zog die Beine an. Sie hatte geglaubt, sie hätte das Weinen verlernt. Aber plötzlich war es ganz einfach.
    Nach ein paar Minuten hörte sie auf, weil es die reine Vergeudung von Kraft und Körperflüssigkeit war. Müdigkeit überfiel sie. Vielleicht waren es auch Verzweiflung und Todesangst, aber sie entschied sich, diesen Sog einfach zu ignorieren. Sie musste nur zu Kräften kommen und dann einen Ausweg suchen. Wer hier hereinkam, kam auch wieder heraus.
    Sie bettete ihren Kopf auf den Stein. Er war halbrund, mit einer Kuhle auf der einen Seite. Als er wegrutschte, griff sie ihn sich, um ihn neu zu positionieren. Er hatte Löcher, die mit nasser Erde verstopft waren. Eingriffslöcher. Vielleicht eine kaputte Bowlingkugel? Schwer genug war er. Sie pulte die Erde heraus, dann strich sie über die Kuhle, entfernte Schlamm und anderen, undefinierbaren, schleimigen Dreck und tastete über die Wölbungen und Einbuchtungen. Konnte nicht glauben, was sie fühlte. Kieferknochen. Eine Fontanelle. Entsetzt fuhr ihre Hand zurück. Sie schrie auf, warf das Ding von sich, kroch, von Panik getrieben, in die andere Ecke, spürte die Zweige, schrie wieder auf, als sie mit der Hand mitten in das Gerippe traf, das sie für vermoderte Äste gehalten hatte, schüttelte sich, rollte sich, von Grauen getrieben, in der anderen Ecke zusammen und schlang die Arme um sich. Wimmernd blieb sie liegen. Der Stein war ein Schädel und die Äste Knochen. Sie war nicht die Erste hier unten. Aber die Einzige, die noch lebte.

36
    C ara?« Jeremy lief die Straße entlang. Erst ganz normal, um nicht aufzufallen. Ab der Kreuzung beschleunigte er seine Schritte. »Cara!«
    Je näher er dem Ortsausgang kam, desto sicherer wurde er, dass sie zum Aussiedlerhof gegangen war. Sie sollte dort nicht alleine hingehen. Er musste bei ihr sein, wenn sie sich ihren Erinnerungen stellte. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals.
    »Cara?«
    Er nahm eine Bewegung in einem der zugewachsenen Gärten zu seiner Rechten wahr und blieb stehen. Gewaltiger Goldregen, wuchernde Schafgarbe. Ein knorriger, bemooster Apfelbaum. Das halb offene Gartentor bewachte einen Weg aus gesprungenen Feldsteinen.
    »Cara? Bist du hier?«
    Er ging auf das Tor zu, stockte, blieb stehen. Für einen Moment hatte er die alte Frau auf einer Steinbank am Haus für eine skurrile Steinskulptur gehalten, so verwachsen schien sie mit dem Efeu, so ähnlich die Farbe ihres grauen, verwitterten Gesichts mit dem bröckelnden Putz der Wände. Sie musste uralt sein, und sie rührte sich nicht.
    »Verzeihung«, stammelte Jeremy. »Ich wollte Sie nicht … ist hier gerade jemand vorbeigekommen?«
    Vorsichtig kam er näher. Was stimmte nicht mit dieser Frau? Warum bewegte sie sich nicht? Sie trug trotz der Hitze ein langes Wollkleid und viel zu weite Stützstrümpfe, über die sie auch noch Socken gezogen hatte. Neben ihr, an die Bank gelehnt, stand ein Stock.
    »Ist alles in Ordnung?«
    Ihre Lider flatterten. Dann traf Jeremy ein Blick, der ihn erschauern ließ. Er kam aus schwimmenden, fast verblassten Augen, halb blind, und tastete ihn ohne ein Zeichen

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