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Das Dorf der Mörder

Das Dorf der Mörder

Titel: Das Dorf der Mörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Herrmann
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Straße und nahm das Gespräch mit einem hastigen »Herr Professor?« an.
    »Herr Saaler!« Die Stimme seines Chefs klang verzerrt, der Empfang war nicht besonders gut. »Wo zum Teufel sind Sie? Ich höre gerade den Anrufbeantworter ab und kann nicht glauben, was Sie vorhaben. Sie wollen mit Frau Spornitz nach Wendisch Bruch fahren?«
    »Ja.« Er war noch immer verwirrt über den Vorschlag, Steine nach Cara zu werfen. Zudem verdoppelte sich seine Stimme. Er konnte seine eigenen Worte wie einen verzögerten Hall nachhören. Das war irritierend. »Also, eigentlich sind wir schon hier. Das heißt, gerade ist sie wohl zum Hof. Ich bin gleich bei ihr.«
    »Sie ist allein unterwegs?«
    »Nein. Nein! Ich bin …« Jeremy erreichte die Mitte der ausgestorbenen Straße. Der Eingang zum Tor des Aussiedlerhofes war hundert Meter entfernt. Langsam setzte er sich in Bewegung.
    »Jeremy, Sie müssen solche Aktionen mit mir abstimmen. Das ist unverantwortlich. Frau Spornitz steht noch immer unter dem Eindruck des Todes ihrer Schwester. Sie sollten sie nach Berlin bringen, aber nicht an den Ort des Ursprungs all dieser schrecklichen Ereignisse. Nicht jetzt, hören Sie?«
    »Ich weiß.« Er bemerkte den ungeduldigen, ärgerlichen Unterton, in den er verfiel. Er fühlte sich wie ein Student im Erstsemester. Dabei wusste er, was er tat. Und wenn Cara endlich mit ihren Alleingängen aufhörte, konnte er sie auch unbeschadet nach Berlin bringen. »Wir bleiben auch nicht lange. Sie kann sich an nichts erinnern, was ihre Kindheit betrifft. Vielleicht hilft ihr der Besuch …«
    »Er hilft ihr nicht! Jeremy! Kommen Sie sofort zurück!«
    Der Empfang wurde noch schlechter. Jeremy konnte Brock kaum noch verstehen.
    »Wir sind ja schon fast auf dem Weg. Es ist nur ein kleiner Abstecher. Herr Professor, glauben Sie mir. Cara ist bei mir in guten Händen.«
    »… habe etwas gefunden … in den Akten … übersehen …«
    »Herr Professor?«
    Jeremy drehte sich um und warf einen Blick zurück zu Esthers Haus. Dort hätte er einen besseren Empfang. Dort saß aber auch eine Spinne in ihrem Netz, die am liebsten Kinder fraß.
    »Herr Professor?«
    » … Zauberer …«
    »Was? Ich kann Sie nicht verstehen!«
    Nichts. Die Verbindung war abgebrochen. Mit schlechtem Gewissen steckte Jeremy den Apparat zurück. Er hatte Brock noch nie so aufgeregt erlebt. Wahrscheinlich war es wirklich das Beste, Cara zu schnappen und Wendisch Bruch so schnell wie möglich zu verlassen. Er trieb sich zur Eile an und erreichte das Tor etwas außer Atem.
    Vorsichtig stieß er es auf. Er hatte erwartet, dass es quietschen würde in seinen rostigen Angeln, aber offenbar war es gut geölt. Vor ihm lag, leer, ausgestorben, flimmernd in der Hitze der Mittagssonne, ein großer verlassener Hof.
    »Cara?«
    Langsam passierte er den Eingang und sah sich um.
    »Cara? Bist du hier?«
    Keine Antwort. Er ging ein paar Schritte auf ein Gebäude zu, das einmal das Wohnhaus gewesen sein musste. Blinde Fensterscheiben, einige zerschlagen – Steine, fiel ihm ein, und er musste sich schütteln beim Gedanken an die alte Frau in ihrem verwilderten Garten, die sich wohl so die Kinder vom Leib gehalten hatte.
    Er war sich bewusst, dass er sich unbefugt auf diesem Gelände bewegte. Vielleicht verhielt er sich deshalb besonders vorsichtig und sah sich mehrmals um, bevor er auf den Eingang des Hauses zuging. Er hörte Betonbruch und Sand unter seinen Schuhsohlen knirschen und von weit her das Rauschen des Windes in den Wipfeln der Bäume und das Rascheln von trockenem Laub, das sich in einer Ecke des Hofes verfangen hatte. Aber er hörte keinen einzigen menschlichen Laut.
    Die Tür war aus billigem Sperrholz, mehrfach aufgebrochen. An einigen Stellen hatte sich das Furnier gelöst und Blasen geworfen. Sie hing lose in den Angeln. Er brauchte nicht einmal die Klinke zu berühren, um sie aufzustoßen. Noch einmal sah er sich um. Das Gefühl von trostloser Einsamkeit wurde stärker. Cara war nicht hier. Niemand war hier. Seine Nervosität wuchs. Er war sich so sicher gewesen, dass ihre Schritte sie zu diesem aufgegebenen, verwahrlosten Ort geführt hatten. Und nun war er derjenige, der sich hier herumtrieb, während sie vielleicht schon längst an der Kirche war oder sich den Bauch mit Äpfeln vollschlug, im Gras lag hinter Walburgas Haus und in den bleiernen, hitzeverhangenen Sommerhimmel auf der Suche nach einer erlösenden Regenwolke schaute.
    Sein Handy hatte wieder Empfang, allerdings nur zwei

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