Das Dorf der Mörder
Tochter ist.«
Gehring spürte, wie Tomislav ihn scannte und dabei Rückschlüsse darauf zog, was seine Tochter ihm erzählt haben musste. Er fühlte sich unwohl. Die Vermutungen der Sanela Beara infizierten wohl jeden. Egal, ob sie sich einen Massenmord in Brandenburg zusammenreimte oder ein über das Berufliche hinausgehendes Verhältnis zu einem Kommissar – ihr Vater sah ihn an, als hätte er die Tochter entehrt an einer Straßenecke ausgesetzt.
»Wir wissen es nicht, und wir haben auch keinen Kontakt zu ihr.«
»Sie suchen nicht? Sie vermissen nicht?«
»Doch, natürlich. Aber Frau Beara hat sich krankgemeldet.«
»Sie ist nicht krank. Sie arbeitet an einer Sache für Sie. Das hat sie mir erzählt.«
Gehring drehte sich um und sah den Seehund mit dem Doppelnamen immer noch aufmerksam lauschend an der Stahltür stehen, die die Wache vom Wartebereich trennte.
»Kommen Sie bitte mit in mein Büro.«
Der Kroate folgte ihm über den Hof. Entgegen seiner Gewohnheit holte Gehring ihm den Fahrstuhl. Gemeinsam stiegen sie ein und fuhren in den dritten Stock. Die sonst so belebten Flure waren leer, aber Gehring kannte die Stille der Wochenenden. Er hatte sie oft zum Arbeiten genutzt.
In seinem Büro bat er den Besucher, Platz zu nehmen, was dieser mit großer Vorsicht und dem sorgfältigen Hochziehen der Bügelfalten seiner Anzughose auch tat.
»Wo ist meine Tochter?«
»Wann haben Sie zum letzten Mal von ihr gehört?«
»Das sagte ich. Gestern. Eine SMS . Hier.«
Er reichte Gehring ein altes Nokia, einen dieser schweren Knochen, bei denen irgendwann das Display seinen Dienst versagte. Er wunderte sich, dass eines dieser Dinger überhaupt noch in Betrieb war.
Mach dir keine Sorgen. Ich muss nur noch was für KHK Gehring erledigen, dann bin ich wieder zuhause.
»Sie spricht kroatisch, aber schreiben kann sie nicht gut. Lieber deutsch. Mehr als eine Heimat kann der Mensch nicht haben. Oder?«
Gehring reichte ihm das Handy zurück. »Welche haben Sie?«
Der Kroate zuckte mit den Schultern. Trotz seines Alters und dem von Arbeit gezeichneten Körper hatte er die jugendlichen, fließenden Bewegungen der Südeuropäer.
»Ich will, dass Sie suchen. Ich mache mir Sorgen.«
»Ihre Tochter ist in Wendisch Bruch, soweit ich weiß. Ich werde einen Streifenwagen hinschicken. Auch wir machen uns langsam Sorgen. Aber sie ist recht eigenwillig. Vielleicht ist nur ihr Akku alle.«
Tomislav sah zu Boden. Er mahlte mit dem Unterkiefer, als ob er etwas im Mund hätte. Schließlich fragte er, ohne aufzusehen: »Was ist mit ihr?«
»Wie?«
»Eigenwillig. Heißt das, sie tanzt Ihnen auf der Nase?«
»Ja«, bestätigte Gehring. In gewisser Weise tat sie das.
»Sie und Sanela«, der Mann sah hoch, »sind ein Paar?«
»Nein! Bewahre!« Gehring hob die Hände. »Hat sie Ihnen das erzählt?«
Wenn ja, dann war Beara noch durchgeknallter, als er befürchtet hatte.
»Ich bin ihr Vater. Ich spüre das. Sie hat keinen Freund. Haben Sie eine Frau?«
»Nein, Herr Beara. Und ich will auch keine. Nichts gegen Ihre Tochter. Sie ist eine durchaus hübsche, junge, ehrgeizige Frau. Und sie wird bestimmt einen guten Mann finden. Aber ich bin es nicht.«
»Warum erwähnt sie dann Ihren Namen? Hier? Und warum hat sie strahlende Augen, wenn sie von der Arbeit redet? Hatte sie nie. Keine gute Arbeit hier, keine guten Kollegen. Bis Sie gekommen sind.«
Er hielt Gehring beinahe anklagend das Handy entgegen.
»Weil sie in einem Fall recherchiert, an dem ich gearbeitet habe. Mehr kann ich dazu nicht sagen. Halt. Doch. Ein Wort. Sie tut dies auf eigene Faust. Sie ist von mir weder legitimiert noch beauftragt. Sie ist mit ihrem Dickkopf und ihrer Eigenwilligkeit drauf und dran, ihre Karriere zu ruinieren.«
»Karriere ist Sanela egal.«
»Tatsächlich?«
»Sie will etwas anderes. Sie will gewinnen. Immer und überall. Sie kann nicht verlieren. Was für ein Fall?«
»Das kann ich Ihnen nicht sagen.«
»Tierpark, nicht wahr? Sie ist fast gestorben damals. Gab es einen Brief von Dienststelle? Einen Orden? Geschenk? Geld?«
Gehring dachte an den Blumenstrauß, tat aber den Teufel, das ihrem Vater auf die Nase zu binden.
»Nichts. So ist es. Sie lässt sich Schädel einschlagen für nichts.«
»Das war ein bedauerliches Zusammentreffen widriger Umstände.«
»Sie tut alles, sie will gewinnen. Das hat sie nicht von mir. Ist ihr Charakter, ist das Leben, das hat sie so gemacht.«
Es klopfte. Gehring brüllte: »Moment!«, und wandte sich
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