Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Dorf der Mörder

Das Dorf der Mörder

Titel: Das Dorf der Mörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Herrmann
Vom Netzwerk:
Vertreter, der auf Durchreise gewesen war und sich die billige Gelegenheit nicht hatte entgehen lassen. Hatte er die Frau damals gemeinsam mit seinem Kollegen Göhler vergewaltigt? Göhler, der Jahre später durch Gülle ums Leben kam? Margot Rubins stiller Rächer war eindeutig in der Wahl seiner Mittel. Er tötete nach Bauernart.
    Nein, dachte Gehring. Damit tue ich den Bauern Unrecht. Er tötet auf eine Art, die etwas mit dem Verbrechen an Margot Rubin zu tun hat. Tiere. Sie müssen wie Tiere gewesen sein … Er atmete schneller, entsicherte die Waffe. Und Beara ist dahintergekommen. Deshalb wurde sie … er zwang sich, nicht weiterzudenken. Er musste kühl bleiben. Kühl und vernünftig. Vernünftig wäre abzuwarten und auf die verfluchte Verstärkung zu setzen. Doch Vernunft würde Beara nicht helfen. Er musste sie suchen. Alles andere würde er sich nie verzeihen.
    Vorsichtig stieß er das Tor auf und richtete die Waffe in den leeren Hof. Wie erwartet, ließ sich niemand blicken. Es war ein gottverlassener Ort, der, wenn man ihn weiterhin sich selbst überließ, irgendwann im Erdboden versinken würde. Rissige Betonplatten, durch die sich Unkraut seinen Weg ans Licht bahnte, halb zerfallene Unterstände und Stallgebäude, ein Wohnhaus, so leer und trostlos, dass der Gedanke, es betreten zu müssen, bei jedem Unbehagen auslösen würde.
    Gehring blieb im Schatten. Er hielt sich rechts, eng an der bröckelnden Mauer, erreichte den Unterstand und wartete einen Moment ab, ob sein Kommen bemerkt worden war. Alles, was er hörte, war sein eigener, keuchender Atem. Er zwang sich dazu, ruhiger und vor allem leiser zu sein, und schlich sich näher an das Wohnhaus heran. Als er die fensterlose Wand erreicht hatte, hielt er kurz inne und bog dann um die Ecke. In drei Schritten erreichte er den Eingang und hielt sich in Deckung. Wieder wartete er. Die Stille lastete wie Blei über dem Gelände. Von weit her hörte er ein Donnergrollen. Ein flüchtiger Blick in den fahlen Himmel bestätigte ihm, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis der Wetterumschwung kam. Der Schweiß ließ sein Hemd am Rücken kleben, und er ahnte, dass nicht nur die Schwüle die Ursache dafür war.
    Er streckte die linke Hand aus, berührte die billige Klinke aus Aluminiumdruckguss, drückte sie hinunter und lauschte. Die Rechte hielt die Waffe. Mit angehaltenem Atem zählte er die Sekunden herunter. Drei, zwei, eins – los. Er stieß die Tür auf und zielte in den Flur. Links, rechts, sichern. Ein Schritt, zwei Schritte. Sollte er rufen? Warnen? Auf sich aufmerksam machen? Sein Herz schlug beinahe schmerzhaft gegen seine Rippen. Er sah, dass eine Tür geöffnet war, und ging, die Waffe im Anschlag, auf sie zu.
    Eine Küche. Ein Tisch, zwei uralte, verbogene Alustühle mit Holzrücken. Eine Pfanne auf dem Herd. Benutztes Geschirr in der Spüle. In der Luft noch ein Hauch von gebratenem Speck. Er nahm die Pfanne in die Hand, achtete darauf, der Tür nicht den Rücken zuzudrehen, und hob sie an. Das Fett war noch flüssig, der Boden warm. Vorsichtig, ohne einen Laut zu verursachen, stellte er sie zurück auf den Herd. Dann begann er, die Räume im Erdgeschoss systematisch abzusuchen.
    Sie waren leer, sah man von den Hinterlassenschaften ungebetener Besucher ab, die Häuser wie diese immer wieder heimsuchten. Mit dem Fuß stieß er einen mit Brandlöchern und Flecken übersäten Schlafsack zur Seite, nahm eine leere Konservendose hoch und bemerkte, dass die Reste ihres Inhalts steinhart getrocknet waren. Sein Blick ging durch das kaputte Fenster hinaus in den Hof und blieb an dem Stallgebäude hängen. Eins nach dem anderen, sagte er zu sich.
    Der erste Stock war gänzlich leer. Er bewegte sich schneller und ungezwungener, weil er mittlerweile davon überzeugt war, dass er alleine war. Auf der Treppe ins Dachgeschoss stutzte er, als er das Blut und den Verwesungsgeruch bemerkte. Dann entdeckte er den toten Hund.
    Gehring sicherte die Waffe, steckte sie in sein Holster und ging in die Knie, um einen kurzen Blick auf die blutverkrustete Kehle des Tieres zu werfen. Es war seit mindestens vierundzwanzig Stunden tot. Dann richtete er sich wieder auf und trat vorsichtig den Rückzug an. Als er das Haus verließ, hörte er in weiter Ferne die Sirenen eines Krankenwagens. Er hoffte, dass er noch rechtzeitig genug eintraf. Er war mit Walburga noch nicht zu Ende. Walburga, die Gute, die doch immer nur darauf gewartet hatte, dass ein anderer den Mund aufmachen

Weitere Kostenlose Bücher