Das Dorf der Mörder
von dem, was Walburga ihm gesagt hatte, verwertbar war. Wer würde ihm glauben, wenn sie das Wenige auch noch zurückzog, um ihren Sohn zu schützen? Welch unfassbare, mühselige Kleinarbeit lag vor ihnen, bis sie die einzelnen Vermisstenfälle zusammengetragen haben würden. Und wie sollte er Tomislav Beara in die Augen sehen, wenn er erklären musste, warum er seine Tochter nicht rechtzeitig gefunden hatte?
Der junge Kollege öffnete den Kofferraum und warf das Brecheisen hinein. Prahm ließ seine Zigarette auf den Boden fallen und trat sie aus.
»Haben Sie schon mal im Schafstall gesucht?«, fragte er.
Gehring warf einen Blick über die verwahrlosten Gebäude. »Schafe?«
»Ja. Die hatten welche. Haben Sie die Wolle nicht gesehen?«
Wollte er ihn auf den Arm nehmen? Doch Prahm, immer noch das Feuerzeug in der Hand, wies zurück in die Ecke, aus der sie gerade gekommen waren.
»Das weiße Zeug, das sich dahinten in den Disteln verfangen hat. Der Wind hat es wohl in die Ecke getrieben. Es muss eine ganze Weile her sein, aber ich fress einen Besen, wenn es hier nicht auch Schafe gegeben hat.«
»Ich denke, Schafe leben auf Weiden.«
»Richtig. Auf diesem Hof hat man wahrscheinlich nur die Wolle gesammelt und abtransportiert. Daher die Reste. Aber Schafe haben einen Sommer- und einen Winterstall. Und der Winterstall ist meist in der Nähe zum Wohngebäude der Bauern, damit sie es nicht so weit haben.«
Gehring lief zum Eingangstor und noch einige Schritte weiter, hinaus auf die Straße. Wendisch Bruch lag eingebettet in Wiesen und Äcker, aber er sah weder Schafe noch einen Stall. Weit hinten am Horizont verschwanden gerade drei Wanderer. Prahm kam zu ihm. Gemeinsam spähten sie die Landschaft aus – vergeblich.
»Jochen?«, rief der junge Kollege, der noch am Streifenwagen stand. Prahm drehte sich um. »Hier liegt was.«
Prahm setzte sich in Bewegung, Gehring folgte ihm. In einer Ritze der Betonplatten, breit wie zwei Finger, glitzerte etwas Metallisches. Gehring, sich der Tatsache wohl bewusst, in einem anderen Bundesland zu sein, überließ es Prahm, den Gegenstand zu sichern.
»Autoschlüssel«, sagte er und hielt Gehring den Bund entgegen. »Sagt Ihnen das was?«
Gehring nickte mit zusammengepressten Lippen. Er hatte mit einem Blick erkannt, dass sie zu Bearas Auto gehörten. »Sie war hier. Ihr Wagen steht im Schuppen eines alten Gasthauses, Zur Linde.«
»Da, wo der Notarzt gerade war?«
»Ist er schon weg?«
Prahm nickte. Gehring spürte, wie Verzweiflung und Stress sich in seinem Magen ballten.
»Ich verdächtige die ehemalige Inhaberin, am Verschwinden von Sanela Beara beteiligt gewesen zu sein. Auf jeden Fall hat sie davon gewusst. Und noch von einigem mehr. Ihr Mann gehört zu einer Reihe von Vermissten in Wendisch Bruch.«
»Verstehe. Wir haben schon mal miteinander telefoniert.«
»Sie waren das?«, entfuhr es Gehring ohne einen Unterton von echter Freude.
»Sind Sie schon weitergekommen?«
»Wenn Sie damit meinen, dass Sie nun eine Polizistin mit auf die Liste setzen dürfen, dann ja.«
»Sieht nach Überstunden aus.«
»Ja«, erwiderte Gehring gereizt. »Es könnte auch noch Ihr Wochenende draufgehen.«
Prahm setzte sich, nachdem er sich mehrmals über sein dünnes dunkelblondes Haar gestrichen hatte, die Mütze auf.
»Torsten, Fahndung. Subito. Alle verfügbaren Kräfte nach Wendisch Bruch. Spurensicherung in Luckenwalde informieren, Hundestaffel. Verstärkung aus Postdam Mittelmark und Havelland. Eine Hundertschaft, besser zwei. Hubschrauber. Ab jetzt ist was los hier.«
Der junge Mann flitzte zurück zum Streifenwagen. Prahm wandte sich an Gehring, der zum ersten Mal das Gefühl hatte, dass der Zug auf das richtige Gleis gesetzt wurde.
»Und wir vertreiben uns die Zeit bis zum Eintreffen der Schwadron mit einer kurzen Haustürbefragung. Schafställe auf dem Land … haben magische Anziehungskraft für Liebespaare, wenn Sie verstehen, was ich meine. Und wir wollen die Kollegin ja so schnell wie möglich gesund und wohlbehalten finden.«
Er gab seinem Kollegen einen Wink, dass er ihnen mit dem Wagen folgen sollte.
»Ja«, sagte Gehring. Er hatte nicht viel Hoffnung auf Liebespaare. Aber er fing an, seine Meinung über Brandenburger Revierpolizisten gründlich zu revidieren.
48
C ara und Jeremy stolperten vorneweg, Marten lief hinter ihnen. Jedes Mal, wenn Cara ihre Schritte verlangsamte, stieß Marten sie weiter. Bei Jeremy war er zurückhaltender. Welchen geheimen
Weitere Kostenlose Bücher