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Das Dorf der Mörder

Das Dorf der Mörder

Titel: Das Dorf der Mörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Herrmann
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Bruchstellen tief in sein Fleisch schnitten. Schweiß kroch in seine Augen und brannte wie Säure. Er versuchte, sich das Gesicht an seinen Oberarmen abzuwischen, und arbeitete weiter. Endlich, kurz bevor ihn die letzten Kräfte verließen, löste sich die erste Schnur. Nach mehreren verzweifelten Anläufen gelang es ihm, auch die zweite durchzuschneiden und die Fesseln so weit zu lockern, dass er sie sich vom Handgelenk streifen konnte.
    Mit einem Stöhnen massierte er sich die geschwollenen, blutenden Stellen und sprang auf. Was er sah, ließ sein Herz gefrieren. Marten zerrte Cara gerade aus dem Feld. Sie stolperte willenlos hinter ihm her.
    »He, Freak!«, rief dieser Wahnsinnige in Jeremys Richtung. »Willst du auch abhauen, oder was?«
    Jeremy hatte erwartet, dass Marten mit Cara zu ihm kommen würde. Stattdessen schlug er mit seiner Geisel den Weg zum Stall ein.
    »Es ist mir scheißegal, was du machst. Für sie ist es gleich zu Ende. Deine Entscheidung, ob du sie alleine lässt oder nicht.«
    Wieder versetzte er Cara einen brutalen Stoß.
    »Geben Sie auf!«, rief Jeremy. »Sie sind doch am Ende. Die Polizei wird bald hier sein. Das hat doch alles keinen Sinn.«
    »Sie haben mich zwanzig Jahre nicht gekriegt!« Martens Stimme kippte beinahe, so sehr brüllte er sich in Rage. »Zwanzig Jahre hatten sie Zeit. Und? Ist was passiert? Nichts! Ich hätte das ganze Dorf plattmachen können, und es wäre keinem aufgefallen!« Er wandte sich wieder an Cara. »Dein Lover setzt sich ab. Kriegst du das mit? Der feige Hund macht sich vom Acker und lässt dich hier krepieren. – Machs gut, Freak! Du wirst sie nie mehr wiedersehen!«
    Jeremy schätzte den Weg zurück nach Wendisch Bruch auf einen Kilometer. Bis zum Stall waren es keine hundert Meter mehr. Egal was Marten dort mit Cara vorhatte, er würde auf keinen Fall rechtzeitig zurück sein. Dort unten im Stall wartete der sichere Tod. Hinter ihm, nur ein kleines Stück zurück über den Hügel, das Leben. Marten gab ihm die Chance davonzukommen. Wenn er, Jeremy, genau das tat, was alle anderen in dieser gottverlassenen Gegend auch getan hatten: die Augen zu verschließen und nur an sich selbst zu denken.
    Langsam setzte er sich in Bewegung. Seine Beine wollten ihm nicht mehr richtig gehorchen. Er konnte kaum glauben, was er tat. Er folgte bereitwillig einem Mörder, der Cara in seiner Gewalt hatte und der von einer aberwitzigen Wahnidee besessen war. Die Schwester sollte all das büßen, was Charlie erlitten hatte. Die einzig Unschuldige in diesem gottverlassenen Dorf. Jeremy wusste, dass Marten nicht klar denken konnte. Die Situation war aussichtslos. Und trotzdem hatte er das Gefühl, Marten erreichen zu können und dass das ihre einzige Chance wäre. Jeder Wahn war in sich logisch. Man musste diese Logik nur erkennen.
    Die beiden erreichten den Unterstand kurz vor ihm und verschwanden in dem offen stehenden Eingang. Jeremy beeilte sich, kam kurz nach ihnen in den Stall und sah sich, fast blind, um.
    Marten zog gerade eine Spritze auf. Er tat das mit der Routine eines Krankenpflegers, während Cara auf dem Boden saß, ein Bein angewinkelt, das andere ausgestreckt, und ihm mit ausdruckslosem Gesicht dabei zusah.
    »Was machen Sie da?«, keuchte Jeremy.
    Marten drehte sich zu ihm um und nickte anerkennend. »Schön, schön. Sieh mal, Cara, es gibt noch Liebe auf der Welt. Was hast du mit ihm gemacht, dass er dir sogar in die Hölle folgt?«
    »Geh«, flüsterte Cara. Ihre Lippen waren blutverkrustet und aufgesprungen. Sie hatte sich an den scharfkantigen Blättern im Maisfeld Schnittverletzungen zugezogen. Feine Linien, die quer über Stirn und Wangen verliefen. »Das hier geht nur Marten und mich etwas an.«
    »Nein«, sagte Jeremy. »Mich auch.«
    Ihr Blick brannte ein Loch in seine Seele. Er schmerzte unendlich. Aber Jeremy hatte sich noch nie so lebendig gefühlt.
    Marten warf die Ampulle weg und klopfte die Luftbläschen aus dem Kolben. Dann spritzte er einen kleinen Teil der Flüssigkeit in die Luft.
    »Er ist …«, sagte sie matt, »er ist wohl so was wie meine Familie. Dieser perverse Rest von gemeinsamem Schicksal.«
    »Quatsch.« Marten setzte sich neben Cara und löste ihre Fesseln. »Hör auf mit dem Gefasel. – Wir sind nicht verwandt, Herr Jeremy. Was ist das eigentlich für ein alberner Name?«
    »Jeremias. Der, den Gott erhöht.«
    »Ach ja? Im Moment sieht es nicht danach aus. Hör gut zu. Du wirst jetzt tun, was ich dir sage. Dann geht es schnell

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