Das Dorf der Mörder
und schmerzlos. Dahinten ist eine Grube. Die wirst du jetzt öffnen.«
Mit einer blitzschnellen Bewegung griff er in die Tasche seiner Jeans und förderte einen Fünfkantschlüssel zutage, den er Jeremy zuwarf. Er wollte ihn auffangen, doch er konnte mit seinen halb tauben Händen nicht richtig zugreifen. Polternd fiel das Werkzeug zu Boden.
»Okay, ich sehe schon. Du brauchst ein bisschen Motivation.« Marten beugte sich zu Cara und bog ihren Kopf zur Seite. Die Spritze setzte er an ihren Hals.
»Mach dich an die Arbeit. Sonst ist sie tot, bevor sie noch begreifen kann, warum. Ich habe vor, euch da drinnen noch ein paar gemeinsame Minuten zu gönnen. Ich kenne die Dosis. Ich hatte ja Praxis. Also entscheide dich.«
Jeremy hob den Schlüssel auf. »Wo soll ich anfangen?«
»In der Ecke.«
Jeremy ging in den hinteren Teil des Stalls. Hier lag noch Stroh auf dem Boden. Nach ein paar Schritten merkte er, dass der Trittschall anders klang. Er bückte sich und schaufelte das Stroh zur Seite.
»Bretter?«, fragte er.
»Links und rechts arretiert. Mach dich an die Arbeit.«
Es waren eigentlich nur zwei Kanthölzer, die die Bohlen verriegelten. Beide waren mit Winkeleisen an der Holzwand befestigt. Jeremy schraubte sie los. Als er fertig war, zog Marten Cara an den Armen hoch und schob sie durch den Raum.
»Und jetzt werden wir mal nachsehen, was da unten drin ist.«
»Marten«, wimmerte Cara. »Bitte nicht.«
»Ach, erinnerst du dich auf einmal, wie es geht? Ja? So ist das mit dem Hinschauen.«
Ein unfassbares Grauen legte sich über ihre Züge. »Ich will nicht. Lass mich, Marten, bitte lass mich. Charlie hätte das nicht gewollt.«
»Aufmachen«, befahl Marten.
Jeremy bückte sich und hob die erste Bohle an. Ein unfassbarer Gestank schlug ihm entgegen.
»Nein!« Caras Schrei gellte so laut, dass er das Brett wieder fallen ließ. Sie rannte zur Tür, aber Marten hatte sie eingeholt, noch bevor sie ins Freie kam. Er griff in ihre Haare und riss ihren Kopf nach hinten. Mit seinem Körper schob er sie voran, zurück in den Stall, die Nadel der Spritze stach mehrere Millimeter in ihren Hals. Sie blieb stocksteif stehen.
»Mach weiter.«
Jeremy hob das Brett an. Es war schwer, unendlich schwer, doch der Gedanke, was Cara gerade angetan wurde, verlieh ihm übermenschliche Kräfte. Er hatte keine Idee, wie er Marten ablenken könnte, deshalb widmete er sich seiner Aufgabe mit scheinbar williger Hingabe.
»Sehr gut. Siehst du schon was?«
Jeremy blickte in eine niedrige Grube, die mit schwarzem Schlamm gefüllt war.
»Dreck«, sagte er.
»Weiter, los!«
Jeremy lockerte das nächste Brett. »Was soll das werden?«, fragte er. »Unser Grab?«
Cara schluchzte auf. »Ich weiß es. Jetzt weiß ich es wieder. Oh mein Gott, hilf mir! Warum tust du mir das an? Warum?«
Ein seltsames Lächeln glitt über Martens Gesicht.
»Das ist doch nur ein Bruchteil von dem, was Charlie mitgemacht hat. Sieh es dir an. – Mach weiter, Jeremias! Gott hat dich erhöht, um der Wahrheit zu dienen. Lasst uns das Werk zu Ende bringen. Erst Cara, dann Jeremias, dann ich. Dann ist es vollbracht.«
Jeremy hob das nächste Brett. Im Schlamm, verdreckt und beschmiert, bekleidet mit nassen Lumpen, lag die Leiche einer Frau.
49
L ebt hier denn gar keiner mehr?«
Wütend ließ Gehring das Gartentor hinter sich zufallen und trat wieder hinaus auf die Straße. Prahm war schon am nächsten Grundstück, drehte sich zu ihm um und schüttelte bedauernd den Kopf.
»Acht Häuser sollen noch bewohnt sein«, sagte Gehring. Seit einer Viertelstunde kämmten sie das Dorf ab auf der Suche nach einer menschlichen Seele. Bei einigen Gebäuden war sich Gehring nicht ganz sicher gewesen, ob nicht doch noch Leben in ihnen war. Aber niemand öffnete, keiner zeigte sich. Fensterläden waren geschlossen, Rollläden hingen schief in ihren verrosteten Schienen, Treppenstufen zerbröckelten unter seinen Schuhen.
»Wenn ich rauskriege, wer uns hier nicht aufmacht …«
»Da«, sagte Prahm und deutete auf ein völlig zugewachsenes niedriges Gebäude. »Das sind Hortensien. Die blühen noch, also muss sie jemand gießen.«
Gehring wunderte sich nicht mehr über Prahms Kenntnisse von Flora und Fauna, er nahm sie einfach nur noch dankbar zur Kenntnis.
Das Gartentor quietschte, als er es öffnete und sich durch die wuchernden Büsche in Richtung Haustür schob. Auf der Klingel stand in verblichenen Kugelschreiberbuchstaben der Name Berger. Gehring erinnerte
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