Das Dorf der Mörder
sich, den Namen auf einer von Schwabs Listen gesehen zu haben. Aber auf welcher? Der Eingang war breit, der Windfang größer als allgemein üblich. In diesem Haus hatte es einmal ein Ladengeschäft gegeben. Die Bäckerei, fiel ihm ein. Der Mann, der in seinem Brotteig erstickte. Er drückte auf den Knopf, aber es war kein Klingeln zu hören. Er klopfte.
»Aufmachen, Polizei!«
Prahm schob sich mit einem Kopfschütteln neben ihn. »Ist jemand zuhause?«
Er ging die Stufen wieder hinunter, legte den Kopf in den Nacken und sah die Fassade hoch.
»Was wollen Sie?« Eine heisere, unfreundliche Stimme.
Gehring und Prahm sahen sich an. Der Polizist griff nach dem Schlagstock an seinem Gürtel und schob die Zweige eines heruntergekommenen Goldregens zur Seite. Auf der Bank saß eine uralte Frau. Ihre knotigen Finger huschten über den Knauf eines Gehstocks, als würden sie sich an eine vergilbte Partitur erinnern. Ihr Gesicht ließ Gehring an eine Indianer-Squaw denken. Faltig, wettergegerbt, mit vielen Pigmentflecken und einer schmalen, scharfen Nase, die das Alter besonders hervorhob.
Esther, die Dorfälteste.
»Tach auch«, sagte Prahm und stellte sich, leicht auf den Füßen wippend, vor sie. »Revierposten Jüterbog. Wir suchen eine verschwundene Frau, Mitte zwanzig, zuletzt hier in Wendisch Bruch gesehen.«
Esther blinzelte ihn an. »Nicht von mir. Ich bin fast blind.«
»Dann sagen Sie uns doch mal, wo der Schafstall vom Aussiedlerhof ist.«
»Da bin ich überfragt, junger Mann.«
»Och, gute Frau.« Prahm gab sich jovial. »Sie wollen doch auf Ihre alten Tage nicht noch einen Ausflug in die schöne Kreisstadt machen? Wir können Sie auch gleich ins Revier mitnehmen. Der Schafstall von den Rubins. So schwer kann das doch nicht sein.«
Die alte Frau zuckte mit den mageren Schultern. »Den gibt es wahrscheinlich gar nicht mehr. Da müssten Sie in den alten Bebauungsplänen nachsehen.«
»Wo war er denn?«, schaltete sich Gehring ein. Diese Frau war die Einzige, die sie in Wendisch Bruch auftreiben konnten. Da Prahm von sich aus schon den bad guy spielte, entschied Gehring sich für das Gegenteil. »Vielleicht können Sie uns ja die ungefähre Richtung angeben?«
Aber Esther sagte nun gar nichts mehr. Gehring schob den Goldregen zur Seite und machte eine Geste, dass Prahm ihm folgen sollte.
»Wie lange braucht der erste Suchtrupp?«, fragte er, als er glaubte, außer Hörweite zu sein.
»Zwanzig Minuten. Halbe Stunde.«
»Nehmen Sie Torsten, und fahren Sie die Feldwege um Wendisch Bruch ab. Irgendwo muss der Schuppen ja sein. Rufen Sie mich an, wenn Sie etwas finden. Ich komme sofort. Wenn nicht, treffen wir uns in einer Viertelstunde am Aussiedlerhof. Vielleicht bekomme ich noch etwas aus ihr heraus.« Er dachte an den toten Hund. »Unternehmen Sie nichts, bevor das SEK hier ist.«
Prahm nickte. Es gefiel ihm nicht, wie Gehring den Boss heraushängen ließ. Fast widerwillig nahm er Gehrings Visitenkarte an.
»Wir suchen nicht nur meine Kollegin, sondern auch die Leichen von mehreren ehemaligen Dorfbewohnern.«
»Was?«, entfuhr es dem Polizisten.
»Und einen Mörder, der irgendwo hier frei herumläuft.«
Prahm strich sich über den Schnurrbart, sagte aber nichts.
»Vergessen Sie das nicht. Seien Sie nicht mutig, seien Sie vorsichtig.«
Prahm nickte und ging zur Straße zurück.
Esther saß immer noch wie versteinert auf der Bank. Gehring setzte sich neben sie und beobachtete, wie ihre gekrümmten Finger wieder die Takte zu einer stummen Melodie anschlugen.
»Walburga«, begann er. Esther hörte auf zu spielen. »Walburga Wahl hat mir einiges über den Hof erzählt. Esther, Ihr Mann war Bäcker. Der erste Tote. Wie kommt es, dass die Polizei nicht ermittelt hat?«
»Hätte sie das tun sollen?«
»Im Nachhinein betrachtet ja. Damals war es sicher nur ein schrecklicher Unfall. Wann ist Ihnen klar geworden, dass es der Beginn einer Serie war?«
»Welche Serie?«
»Der Nächste war der Schreiner.«
»Der ist ertrunken. Das kommt vor, wenn man betrunken in die Wende fällt.«
»Dann verschwanden Gisela und Walter Weber. Wir vermuten, dass sie in Westdeutschland getötet und ihre Leichen an unterschiedlichen Orten abgelegt wurden. Damit sie weder identifiziert noch in Zusammenhang gebracht werden konnten.«
»Sie leben an der Costa Blanca.«
»Das tun sie nicht. Sie sind tot.«
Ein kleiner Akkord, schnell, wahrscheinlich eine schrille Dissonanz, wenn Esther Klavier spielen
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