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Das Dorf der Mörder

Das Dorf der Mörder

Titel: Das Dorf der Mörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Herrmann
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quengelnde Kinder und dreiste Fotografen zurückzudrängen. Nein.
    Sie sollte nachsehen.
    Die Knochentonnen – blaue Kunststoffcontainer mit Schiebedeckel – standen an der rückwärtigen Ziegelwand der Klinik. Sie waren sorgfältig verschlossen, und trotzdem wurde der Geruch stärker, je näher sie seiner Ursache kam. Sanela wog ab, was sie dieser Alleingang kosten könnte. Die Spurensicherung hatte im Gehege und der Klinik alle Hände voll zu tun. Wer weiß, was Gehrings Ermittlungen noch alles zutage förderten. Vielleicht musste der ganze Tierpark geräumt und abgesucht werden. Und dann kam sie und schrie: Hallo! Guckt euch das mal an! Drei Container Knochen und Fleischabfälle. Wenn ihr das netterweise auch noch durchwühlen könntet?
    Aber es fehlten Leichenteile. Die Überreste eines Mannes, der einem Gewaltverbrechen oder einem Unfall zum Opfer gefallen war. Wenn die Bäuche der Schweine nicht hergaben, was Haussmann sich erhoffte, suchten sie einen Mörder.
    Sie blieb stehen, weil sie glaubte, aus den Augenwinkeln eine Bewegung wahrgenommen zu haben. Plötzlich waren überall Geräusche. Das Rascheln des Windes in trockenen Blättern. Der Verkehr auf der vierspurigen Straße stadteinwärts. Ein Knacken, vielleicht das Brechen eines Zweiges unter schweren Sohlen. Sie tastete nach ihrer Waffe, bereit, sie sofort zu ziehen. Langsam drehte sie sich um, weg von den Containern und der Ziegelwand der Klinik, hin in Richtung altes Elefantenhaus. Und plötzlich sah sie es.
    Niedrige Bungalows duckten sich in seinem Schatten. Sie wirkten unbewohnt, wie verlassene Behelfsheime oder Flüchtlingsbaracken, nachdem die Karawane weitergezogen war. Drei, vier kleine Häuser, ebenerdig, mit spitzen Dächern und winzigen Fenstern. Eines stand offen. Eine Gardine hing heraus und bewegte sich sachte im Wind.
    Sanela ließ die Hand sinken und atmete durch. Die Phantasie hatte ihr einen Streich gespielt. Vielleicht auch die Nerven. Das mussten die Wohnungen sein, die Charlie gemeint hatte, denn die Lichtenberger Plattenbauten waren viel zu weit entfernt. Diese kleinen Häuser aber standen auf dem Tierparkgelände, in unmittelbarer Nähe der Knochentonnen. Ein offenes Fenster. Unbegreiflich, denn der Geruch lag wie ein unsichtbares Leichentuch in der Luft.
    Etwas huschte zwischen ihren Beinen hindurch. Fast hätte sie aufgeschrien. Es war eine weiße Maus. Ob es die Maus war, die der Futtertierbaracke entkommen war, wusste Sanela nicht. Aber sie nahm es zu ihren Gunsten an, und die kleine diebische Freude ließ sie lächeln. Sieh an, dachte sie. So sicher ist der Tod also doch nicht.
    Sie zuckte zusammen, als direkt über ihr eine heisere Stimme zu krächzen begann. Andere fielen ein. Ein Schwarm Krähen stob aus einer der Buchen auf, erhob sich in die Luft und umkreiste die freie Fläche zwischen der Klinik und den Wohnhäusern auf der Suche nach Beute. Die Maus war verschwunden. Ihre Chancen lagen schlagartig bei null.
    Die Schutzpolizistin ging zu den Containern, holte ein Taschentuch hervor und hielt es sich unter die Nase. Der Deckel ließ sich kaum bewegen. Sie nahm alle Kraft zusammen, schob ihn zurück, und noch bevor sie einen Blick hineinwerfen konnte, fiel ein Schatten auf die Hauswand. Sie begriff zu spät, dass es der Umriss eines Menschen mit erhobenen Armen war. Zu spät, dass er etwas Schweres in den Händen trug und ausholte. Zu spät, um herumzuwirbeln. Noch im Ansatz wurde die Bewegung durch einen furchtbaren Schlag gestoppt. Er war so gewaltig, dass sie noch nicht einmal mehr den Schmerz spürte.

6
    D er kam am nächsten Tag, als die Schwestern anfingen, die Tabletten zu rationieren. Sanela lag im Evangelischen Krankenhaus Herzberge. Diagnose: schwere Gehirnerschütterung, angebrochenes Schlüsselbein, tiefe Fleischwunde in der linken Schulter. Die betroffene Körperhälfte lag bis zum Hals im Gips, der Kopf war bandagiert. Sie sah aus wie die Karikatur eines verunglückten Skiläufers und hatte sich nur mit der Hilfe von zwei Schwestern am Morgen waschen können. Die halbe Bewegung hatte ihr das Leben gerettet. Der Angreifer hätte sonst ihren Kopf gespalten, so hatte ein eiliger Assistenzarzt ihr am Morgen bei der Visite erklärt.
    Es war gegen Mittag, als es an der Tür klopfte und Gehring hereinkam. Er druckste herum und zog schließlich einen Wiesenblumenstrauß hinter dem Rücken hervor. Dabei murmelte er etwas in Richtung »Gute Besserung« und »Hat das ganze Referat zusammengelegt«. Klar. Damit sie

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