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Das Dorf der Mörder

Das Dorf der Mörder

Titel: Das Dorf der Mörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Herrmann
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Untergebene rechtfertigen sollte.
    »Wahrscheinlich haben Sie sie durch Ihr Auftauchen gewarnt. Sie konnte in aller Ruhe Spuren verwischen. Ist das eine Scheiße. Ist das eine Scheiße!« Er sprang wieder auf. Sanela schloss die Augen, weil sie Schmerzen dabei hatte, ihm zuzusehen, wie er wie ein Verrückter herumtobte. »Sie werden das zu Protokoll geben.«
    »Den Kaffee auch?«
    »Natürlich nicht. Ziehen Sie sich was aus der Nase. Kriminalistischer Spürsinn oder Ihre verlässliche weibliche Intuition, ist mir doch egal. Es sei denn, Sie bestehen auf einer Dienstaufsichtsbeschwerde. Gegen Sie, Frau Beara. Nicht, dass Sie da was verwechseln. Bis heute Nachmittag will ich das auf dem Schreibtisch haben. Verstanden?«
    »Ja.«
    »Ich schicke jemanden, der Ihre Aussage aufnimmt. War etwas dabei, das uns ein Stück weiterbringt?«
    Sanela versuchte, sich an die Unterhaltung zu erinnern.
    »Nein«, sagte sie schließlich. »Sie wirkte absolut nicht gestresst. Im Gegenteil. Sie hat mir noch die Zucht gezeigt.«
    »Wie nett.« Gehring machte ein Gesicht, als würde er ihr diesen Tag gleich vom Urlaub abziehen.
    »Da war jemand in den Baracken«, sagte sie. »In den Häusern hinter der Klinik.«
    »Die stehen leer. Charlotte Rubin ist die Einzige, die dort wohnt. Sie sind nur vorübergehend belegt, wenn Tiertransporte begleitet werden oder westmongolische Delegationen das Paarungsverhalten der siamesischen Baumnatter beobachten wollen.«
    »Ich hatte aber das Gefühl …«
    Gehring beugte sich vor und sah sie an. Sein schmales Gesicht mit den etwas zu eng stehenden Augen verzog keine Miene. »Ihre Gefühle, Frau Polizeimeisterin, interessieren mich in diesem Fall null. Verstehen Sie? Null. Wir brauchen Fakten. Und keine überambitionierten, unterbezahlten Kontrollfreaks, die glauben, es besser zu machen als ihre Kollegen. Habe ich mich klar ausgedrückt?«
    Sanela starrte ihn an.
    »Wenn Sie Ihre Gefühle, Intuitionen und Impulse nicht in den Griff kriegen, werden Sie noch nicht mal die erste Prüfung schaffen. Ganz zu schweigen von dem da. Ihr Chef ist ein guter Freund von mir.« Er deutete auf die Verbände. »Was sagen die Ärzte?«
    »In vier Wochen bin ich wieder ganz die Alte.«
    »Hoffentlich nicht.« Er ging zur Tür. »Er hat mich gefragt, was ich von Ihnen halte.«
    »Und?«
    »Fragen Sie sich selbst. Fragen Sie sich, ob Sie die Ermittlungen behindern oder voranbringen.«
    »Voran?«
    Er schloss die Tür hinter sich, lauter als nötig.
    Sie wartete, bis sie sicher sein konnte, dass er gegangen war. Dann stand sie mühsam auf, ging zum Papierkorb und holte die Zeitung heraus.
    Charlotte Rubin, 34, Rattenzüchterin im Tierpark Friedrichsfelde, stand unter Verdacht, einen bisher noch nicht identifizierten Mann betäubt und mittels Schubkarre ins Pekari-Gehege gebracht zu haben, und war bereits dem Haftrichter vorgeführt worden. Über Motiv und genauen Ablauf der Tat war nichts bekannt. Kollegen beschrieben die Frau als verschlossen und einzelgängerisch. Dem toten Ferkel galt tiefes Mitgefühl.
    Sanela dachte an das Rattenbaby und Charlies Zeigefinger, der fast liebevoll den prallen, milchgefüllten Bauch gestreichelt hatte. Sie fand keine Erklärung und ahnte, dass Charlotte Charlie Rubin sie wahrscheinlich selbst nicht hatte. Wenn sie die Tat begangen hatte, war sie eine Frau mit zwei Gesichtern.
    Wollen Sie hier ermitteln?
    Sollte ich das?
    Die Erinnerung war wieder da.
    Der erste Moment der Begegnung, das Abchecken, was man von seinem Gegner zu halten hatte. Kann er mir gefährlich werden? Wird er herausfinden, was ich zu verbergen versuche? Aber nein. Eine kleine, naive Streifenpolizistin war aus Versehen hereingeschneit und wollte nur einen Kaffee. Halten wir sie einfach ein wenig zum Narren. Schockieren wir sie mit etwas Zärtlichkeit für todgeweihte Wesen. Erzählen wir ihr etwas darüber, wie der Kreislauf des Lebens hinter den Kulissen des Kinderzoos wirklich funktioniert. Legen wir ihr ein Rattenjunges auf die Hand und lassen sie ein wenig sinnieren, wie das ist mit dem Fressen und Gefressenwerden. Spielen wir mit ihr. So wie mit der Maus, die wir in eine scheinbare Freiheit entlassen, in der sie keine zehn Minuten überleben wird. Lassen wir ihr die Freude und den Kaffee. Und dann schlagen wir sie tot.
    Sanela wankte ins Bad, und endlich konnte sie sich übergeben.

7
    N ach vier Wochen konnte Sanela den Rucksackverband ablegen und mit einem vorsichtigen Training beginnen. Sie wollte so früh wie

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