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Das Dorf der Mörder

Das Dorf der Mörder

Titel: Das Dorf der Mörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Herrmann
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Allesamt Muttertiere mit Würfen zwischen zehn und fünfzehn Nachkommen.
    »Wissen sie es?«, wiederholte Sanela ihre Frage.
    Die Rattenzüchterin warf einen Blick in den nächststehenden Käfig. Die Jungtiere waren noch kleiner als die Ratten. Nackte, blinde Würmchen.
    »Nicht hier.« Charlie öffnete den Käfig und holte ein Mäusebaby heraus. Auch dieses Wesen hielt sie fast zärtlich in der hohlen Hand. »Wir reden nicht vom Tod in ihrer Gegenwart. Sie öffnen die Augen erst nach zehn Tagen. Im Gegensatz zu den Ratten säugen Mäuse übrigens auch den Wurf anderer Mütter.«
    »Was haben Sie damit gemeint: Wir halten sie knapp?«
    Charlotte Rubin legte die Maus zurück, verschloss den Käfig und ging voraus in den Aufenthaltsraum. Sie holte einen länglichen Wochenkalender aus dem Regal und legte ihn aufgeschlagen auf den Tisch mit der Wachsdecke. Zahlenkolonnen in Tabellen.
    »Das Bestellbuch. Die Reviere ordern, und wir tragen ein, was wir liefern. Greifvögel, Raubtierhaus, Kamele, Vogelaufzucht …« Ihr Zeigefinger glitt die Seite hinunter. »Wir liefern immer zu wenig. Das erhöht die Wertigkeit. Ich komme aus der Landwirtschaft. Wir töten nach Bauernart. Im Park draußen lieben sie jedes einzelne Tier. Der Tod eines Mähnenwolfs letztes Jahr war eine Tragödie. Die Tigerbabys sind ja so süß. Und Knut, der Eisbär aus dem Zoo, hat eine Massenhysterie ausgelöst.«
    Aus den Augenwinkeln nahm Sanela eine Bewegung wahr. Eine weiße Maus flitzte die Wand entlang und verschwand unter der Spüle.
    »Wenn ein Elefant stirbt, trauert der ganze Park. Aber ist das Kaninchen, das morgen für die Königsgeier zerteilt wird, nicht genauso wichtig? Nicht für die Leute da draußen. Wir sind hier weitab vom Schuss. Wir haben nicht viel Kontakt mit den anderen Revieren. Aber im Grunde tun wir genau das Gleiche wie ein Bauer mit seinem Vieh. Oder der Zoo mit seinen Zebras.«
    »Die werden nicht verfüttert.«
    »Glauben Sie das wirklich?«
    Sanela dachte an den ausgewaideten Antilopenbock. Es hielt sich hartnäckig das Gerücht, dass manche Restaurants ihre Spezialitäten nicht umständlich aus dem Ausland einführten.
    Die Maus traute ihrem Versteck nicht. Sie rannte zur Tür, hielt inne, zitterte. Links, dachte Sanela, und für einen irrwitzigen Moment schoss eine heiße Freude in ihr hoch. Links, und du hast es geschafft, Baby. Links ist die Freiheit. Die Maus rannte nach rechts, zurück in die Zuchträume.
    »Wissen sie es?«, fragte Sanela noch einmal.
    Charlotte Charlie Rubin klappte das Buch zu und legte es zurück.
    »Nur in den letzten Minuten.«
    Mit zwei vollen Kaffeebechern überquerte Sanela die Piste. Auf der anderen Seite waren sie zur Hälfte leer und ihre Hände halb verbrüht. Sie drehte sich noch einmal um und sah gerade noch Charlies Gestalt hinter dem Efeu verschwinden, um die nächste Lieferung vergaste Ratten aus der Eisenkiste zu holen.
    Sie brachte Gehring und Haussmann den Kaffee in die Klinik. An der Wand aufgereiht lagen die Körper von vier Pekaris, gerade trugen die Pfleger den nächsten Leib herein. Die Tiere atmeten noch, also waren sie nur ruhiggestellt. Sie strömten einen betäubend strengen Geruch aus.
    Keiner der beiden Männer bemerkte sie. Sie sprachen leise mit einem dritten, der einen bodenlangen weißen Kittel trug und wahrscheinlich einer der Veterinäre war. Sie suchten Teile des Rückgrats, Oberschenkelknochen. Zerteilt und zermalmt von messerscharfen Zähnen. Der Veterinär hielt das für unwahrscheinlich. Haussmann ging zu einer Bache, hob ihr die Lefzen und strich mit seinem behandschuhten Zeigefinger über die Hauer.
    Sanela machte beim Hinausgehen einen weiten Bogen um die Schweine. Sie war froh, dass ihre nächste Aufgabe sie wieder auf das sichere Terrain der schutzpolizeilichen Maßnahmen führen würde.
    Der Weg vom Wirtschaftshof zum öffentlichen Teil des Tierparks führte hinter der Klinik am alten Elefantenhaus vorbei. Es roch nach Gülle und Stroh, fast lieblich nach allem, was an diesem Tag in ihre Nase gestiegen war. Sie blieb stehen.
    Zu lieblich. Widerlich lieblich. Ekelhaft. Es roch nach verwesendem Fleisch.
    Die Knochentonnen. Einen Moment blieb sie unschlüssig stehen. Sven wartete auf sie. Sie durfte sich keine weiteren Alleingänge erlauben. Sie sollte wieder hineingehen und die heilige Dreifaltigkeit der Spurensicherung informieren. Nein. Sie sollte die Beine in die Hand nehmen und sich beeilen, um ans Absperrband zurückzukehren und Schaulustige,

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