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Das Dorf der Mörder

Das Dorf der Mörder

Titel: Das Dorf der Mörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Herrmann
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möglich wieder in den Dienstsport einsteigen, weil auch diese Leistungen bei der Beurteilung zählten. Die Eignungsprüfungen sollten im Herbst stattfinden, und am meisten fürchtete sie den Cooper-Test – die Hallenrunden zu je hundert Meter Länge, zwölf Minuten lang. Ans Bankdrücken wagte sie mit ihrer Schulter noch gar nicht zu denken. Die Voraussetzungen waren denkbar schlecht, aber sie verbot sich, die Mühe und die Hoffnung noch einmal um ein Jahr zu verschieben. Sie trainierte nach Dienstschluss im Plänterwald, mit Ohrhörern in Pink und Cage The Elephant, Smashing Pumpkins und den Foo Fighters auf dem MP3-Player.
    Die Fragen der Kollegen nach ihrer Rückkehr in den Dienst hielten sich in Grenzen. Eigentlich war es nur Sven, der sich ehrlich freute, sie wieder an seiner Seite zu haben. Für die anderen war sie der Kläffer, der in diesem Fall der Falschen ans Bein gepinkelt hatte. Von Gehring, der im dritten Stock der Sedanstraße im anderen Flügel des Gebäudes arbeitete, hörte und sah sie nichts.
    Sie hatte sich erkundigt, was Gehrings Andeutung hieß: Ich kenne Ihren Chef. Zu ihrem Entsetzen erfuhr sie, dass der Dienststellenleiter und Gehring gemeinsam mehrere Führungskräfteschulungen absolviert hatten und sich daraus so etwas wie eine Männerfreundschaft entwickelt hatte. Ein falsches Wort von Gehring, und sie konnte ihre Bewerbung vergessen. Sie achtete noch mehr darauf, keinen Fehler zu begehen. Sie grüßte freundlich, meldete sich als Erste zu unbeliebten Nachtschichten bei noch unbeliebteren Bärenführern, schminkte sich noch dezenter und noch sorgfältiger, holte Kaffee, wusch und saugte den Dienstwagen, brachte am Tag ihrer Rückkehr ei nen Kuchen mit und drei Pakete Kaffee, erzählte jedem bereitwillig, dass der Spürsinn sie zu den Knochentonnen geführt hatte, es aber einzig und allein Gehring zu verdanken war, dass man sie noch rechtzeitig gefunden hatte. Sie glaubte nicht, dass sie all das beliebter gemacht hatte. Aber sie kam öfter mit den Kollegen ins Gespräch und war nicht mehr so nervös, wenn jemand das Wort an sie richtete. Ihre frühe Rückkehr in den Dienst und ihre wenn auch zu reinem Zufall heruntergespielte Beteiligung an dem Fall Rubin machten die Runde. Und als eines Tages der Dienststellenleiter in der Kantine sogar ein paar Worte mit ihr wechselte, die über rein Dienstliches hinausgingen, hatte sie zum ersten Mal das Gefühl, glimpflich aus der ganzen Sache herauszukommen.
    Sie hütete sich davor, das Ermittlungsergebnis auch nur im Ansatz in Frage zu stellen. Das hätte sofortigen Genickbruch bedeutet. Aber sie behielt den Fall und seine Entwicklung im Auge. Wenn man in diesem Zusammenhang überhaupt noch von Entwicklung reden konnte. Er schien, nachdem alle Untersuchungsergebnisse vorlagen und die Täterschaft Rubins auch noch untermauerten, abgeschlossen.
    Die Medien hatten sich mittlerweile gefräßig auf andere Themen gestürzt. Charlotte Rubin würde erst zum Prozessbeginn im Herbst wieder von Interesse sein. Während Sanela ihren Dienst schob, Führerscheine kontrollierte, Geschwindigkeits überschreitungen ahndete, Kneipenschlägereien schlichtete und ältere Damen im Treptower Park darauf hinwies, dass sie die Tretminen ihrer Vierbeiner zu beseitigen hatten, befasste sie sich am Abend, wenn ihr Vater sich via Satellit Hrvatska radiotelevizija ins Wohnzimmer holte, mit den Prüfungsvorbereitungen zur Zulassung an der Hochschule für Wirtschaft und Recht – Fachbereich 5, Polizei- und Sicherheitsmanagement. Sie hatte kein Abitur, aber eine abgeschlossene Berufsausbildung und mehrere Jahre Berufserfahrung. Sie dachte öfter an Gehring, als sie sollte. Dann ließ sie das Gespräch in allen Einzelheiten noch einmal Revue passieren. Jedes Mal wurde sie dabei wütend.
    Ihre Gefühle, Frau Polizeimeisterin, interessieren mich in diesem Fall null. Sie glaubten, es wären Gefühle, die sie antrieben. Vielleicht auch die Einsamkeit. Ihre Körpergröße. Kleine Menschen entwickelten oft eine Art Übereifer, um anderen ebenbürtig zu sein. Aber sie täuschten sich. Sanela hatte früh begriffen, dass das Böse zu dieser Welt gehörte und nicht auszurotten war. Es war eine Hydra: Schlug man einen Kopf ab, wuchsen zwei neue. Sie war nicht so naiv zu glauben, bei der Polizei könnte sie ernsthaft etwas gegen den Ursprung des Bösen tun. Aber sie wollte es verstehen. Tief verborgen in ihrem Herzen befand sich, wie bei allen anderen auch, ein dunkles Verlies. Es ließ sich

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