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Das Dorf der Mörder

Das Dorf der Mörder

Titel: Das Dorf der Mörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Herrmann
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festzustellen bei diesen Polyesterteilen, die immer irgendwie zerknittert aussahen.
    Brock nickte ihm zu. Er saß am anderen Ende des Zimmers in einem Sessel und tat so, als ob er mit geschlossenen Augen seinen eigenen Gedanken nachhängen würde. Dabei entging ihm kein Wort, keine Geste.
    »Was war mit den Hunden?«
    »Wenn einer anfing zu bellen, machten alle andern auch mit. Das klang nachts wie ein Wolfsrudel.«
    Sie trank einen Schluck Wasser. Jeremy beugte sich vor und legte den Stift ab. Er hoffte, sie würde es bemerken und als eine Geste werten, die das Gespräch vertraulicher machte.
    »Sie mögen Tiere?«
    »Ich weiß es nicht. Mögen?«
    »Was sind denn Ihre Lieblingstiere im Zoo?«
    »Im Tierpark? Die Kamele. Und die Gibbon-Affen. Witzige kleine Kobolde sind das.«
    »Und Pekaris?«
    Sie schwieg. Jeremy konnte das Ticken von Brocks kleiner Uhr auf dem Schreibtisch hören. Er beschloss, Rubin noch etwas Zeit zu geben.
    »Als Sie nach Berlin kamen, haben Sie da schnell Anschluss gefunden?«
    »An was?«
    »An Menschen. Freunde, Bekannte oder auch Kollegen.«
    »Ich hab’s versucht. Aber es fällt mir nicht leicht. Sie merken ja, reden ist nicht meine Stärke.«
    Sie unterhielt sich offen über ihre Arbeit und zeigte mir alle Bereiche der Futtertierzucht. So stand es irgendwo in den Akten. Wenn Charlotte Rubin in ihrem Element war, konnte sie durchaus aus sich herausgehen.
    »Sie meistern das ganz gut.« Aufmunterndes Nicken.
    »Vielleicht verlernt man es auch. Es kommen nicht viele in mein Revier . «
    Mein Revier, schrieb Jeremy auf.
    »Ich bin für die meisten wohl ein wenig sonderbar.«
    »Warum?«
    Erstaunt sah sie ihn an. Es war das erste Mal an diesem Tag, dass sie die Augen aufgeschlagen hatte, und der Blick traf Jeremy, als hätte sie ihn bei etwas Sträflichem ertappt.
    »Sie wissen doch, wo ich arbeite?«
    »In der Futtertierzucht.«
    »Ich züchte, um zu töten.«
    »Damit andere Tiere leben können.«
    »Ja. Genau. Aber die Leute mögen das nicht. Vielleicht, weil sie nicht verstehen, was ich mit den süßen Kaninchen und den kleinen Baby-Meerschweinchen mache. Ich töte sie.« Ihr Blick fiel auf Jeremys Stift. »Ja, schreiben Sie das ruhig auf. Wäre ich immer noch Bäuerin oder würde ich in einer Metzgerei arbeiten, die Leute hätten weniger Schwierigkeiten mit meiner Arbeit. Aber irgendeiner muss sie tun.«
    »Belastet Sie das nicht?«
    »Ich sorge dafür, dass es die Tiere nicht belastet. Ihr Leben soll bis zum Moment ihres Todes gut und sorglos sein. Ich wähle nicht. Ich bin auch nicht Herr über Leben und Tod. Ich produziere Futter, damit die Tiere vorne in den Gehegen etwas zu fressen haben. Ich fühle mich nicht belastet, weil ich Teil eines Kreislaufes bin. Im Gegenteil. Ohne mich sähe der Tierpark traurig aus. Keine Raubtiere. Keine Greifvögel. Keine Schlangen. Keine Krokodile. Warum gehen Sie in den Zoo?«
    Jeremy lächelte. »Wegen der Panther. Wegen Rilke. ›Sein Blick ist im Vorübergehn der Stäbe so müd geworden, dass er nichts mehr hält. Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe und hinter tausend Stäben keine Welt.‹«
    »›Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte, der sich im allerkleinsten Kreise dreht, ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte, in der betäubt … ein großer Wille …‹«
    Sie brach ab. Tat so, als könnte sie sich nicht mehr an die Worte erinnern. Unter ihrem linken Auge zuckte ein Nerv – ein Tic. Sie fuhr sich mit den Händen über das Gesicht. Vielleicht wollte sie das Zucken damit vertreiben, vielleicht aber auch die Art, mit der sie sich angesehen hatten. Der Retter und die Überlebende. Für einen Moment hatte Jeremy geglaubt, in die Augen einer Ertrinkenden zu sehen. Motorische Kontraktion , schrieb er. Extrapyramidale Hyperkinese. Tritt meist im Kindesalter auf. So ein Blödsinn. Er hatte dieses Zucken selbst manchmal. Ohne jeden erkennbaren Zusammenhang mit irgendeiner Aktivität. Kindheit , notierte er. Schwester . Brock räusperte sich.
    »Woher kennen Sie Rilke?«, fragte er.
    »Ich habe als Kind viel gelesen.« Sie erklärte das Jeremy, nicht Brock. »Was anderes gab es nicht auf dem Land. Ich fand, der Panther passte zu mir. Ich habe das Gedicht auswendig gelernt. Der Panther bin ich.«
    Brock nickte. Nichts in seinem Blick verriet, was er dachte. Skepsis, Akzeptanz, Zweifel, Erstaunen – er behielt alles für sich.
    »Acht Kilo Fleisch jeden zweiten Tag.« Rubin hatte sich wieder unter Kontrolle. »Pro Raubtier. Das kratzen

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