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Das Dorf der Mörder

Das Dorf der Mörder

Titel: Das Dorf der Mörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Herrmann
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wir schließlich nicht von den Straßen. Sind Sie Vegetarier?«
    »Nein«, antwortete Jeremy wahrheitsgemäß.
    »Also.«
    »Ich habe Sie nicht angegriffen. Ich wollte wissen, ob es Sie belastet, als sonderbar zu gelten.«
    »Sie haben sich heute Morgen rasiert. Ich vermute mal, das ist Ihnen lästig. Aber belastet Sie das?«
    Brock sah aufmerksam zu ihnen herüber. Die Unterhaltung faszinierte ihn. Die Frau taute auf, benutzte mit einem Mal eine ganz andere Wortwahl. Sie drückte sich klar und ohne Sentimentalitäten oder Schönredereien aus. Sie rezitierte Rilke. Sie war ein wacher Geist, den etwas begraben hatte und dem sie nur in seltenen Momenten gestattete aufzublitzen. Ein wenig eitel war sie also doch. Das machte sie menschlich. Fast sympathisch. Wieder ein ganz leichtes Nicken von Brock. Weiter so, hieß das. Jeremy zog den Rosenkranz aus seiner Tasche und legte ihn auf den Tisch.
    »Der Mann, den Sie getötet haben …« Er wusste nicht, ob es zu früh war, dieses Thema anzuschneiden. Aber er hatte das Gefühl, jetzt nicht mehr lange um den heißen Brei herumreden zu wollen. »Kannten Sie ihn?«
    Ein Schatten glitt über ihre Augen. Einen Moment lang befürchtete er, sie würde sich wieder zurückziehen in ihr Schneckenhaus.
    »Nein«, sagte sie schließlich. Sie sah auf die hölzernen Perlen. Nichts in ihrer Miene verriet, was sie dachte.
    »Warum haben Sie ihn getötet?«
    Schweigen. Die Luft schien zu erstarren, die Zeit einzufrieren. Diese Frage hatte sie selbst in stundenlangen Verhören nicht beantwortet. Schließlich riss sie den Blick von dem Rosenkranz los.
    »Irgendeiner musste es tun.«
    Charlotte Rubin bestand auf einer Pause. Brock öffnete die Tür zum Wartezimmer, die Vorführbeamten traten ein und passten auf die Besucherin auf, während Jeremy und der Professor in die kleine Teeküche gingen.
    »Das machen Sie großartig«, sagte Brock leise.
    Jeremy hatte das Gefühl, vor Stolz zu platzen. Es lief besser als erwartet. Besser als bei Brock! Wer hätte das gedacht.
    »Was halten Sie von ihr?«, fragte Jeremy. Es war natürlich noch viel zu früh für eine Beurteilung. Und in Wirklichkeit wollte er damit auch nur seinen kleinen Triumph noch ein wenig mehr auskosten.
    Brock lächelte. »Im Moment scheint sie mir ein einsames Wesen zu sein, das kaum Anschluss hat und auf dem Land vor Langeweile fast gestorben ist. Ein Panther ist sie jedenfalls nicht, auch wenn sie sich das vielleicht einredet.«
    »Und der Mord?«
    Brock zuckte mit den Schultern. »Ich denke, je besser ihr Vertrauensverhältnis wird, desto eher wird sie uns diese Frage beantworten. Sie ist kein Henker. Sie hat ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsgefühl. Mir ist noch nicht klar, wie sich das auf die Wahl des Opfers auswirkt. Entweder hat sie den Mann wirklich nach einer Art Zufallsgenerator ausgesucht.«
    Brock ließ Wasser in den Boiler laufen und drückte den Knopf.
    »Oder?«
    »Oder er hat in ihren Augen seinen Tod selbst verschuldet und ihn verdient. Unsere Aufgabe ist es herauszufinden, ob diese beiden Möglichkeiten das Produkt logischer Überlegungen und daraus erfolgten Handelns waren. Anders ausgedrückt: Heimtücke.«
    Jeremy warf einen Blick ins Wartezimmer. Der ohne Namen war bei Rubin, Miesdrosny stand gelangweilt am Fenster und kaute auf einem Zahnstocher herum.
    »Bis jetzt kommt sie mir nicht sehr tückisch vor.«
    Brock holte einen Beutel Earl Grey aus dem Wandschrank. Wenn Mieze nicht da war, erwachten erstaunliche Fähigkeiten in ihm. Dann wusste er sogar, wie man sich einen Tee zubereitete.
    »Das kann täuschen«, sagte er.
    Bis zum Nachmittag war es nicht möglich, mehr über die Tat aus Charlotte Rubin herauszulocken. Sie sprach über ihre Arbeit, die wenigen Hobbys, die sie hatte – Tierzeichnungen, Tierfilme, eine Patenschaft fürs Tierheim –, und als Brock sich verabschiedete, weil er am Abend einen Vortrag in Hamburg hielt, wussten sie zwar alles über Charlotte Rubins ereignisloses Leben, aber nichts über die Beweggründe für den Mord.
    »Machen Sie sich mal keine Sorgen«, sagte Brock, als er in seinen Mantel schlüpfte. »Morgen übernehme ich.«
    Jeremys Gesichtszüge mussten, obwohl er sich beherrschte, kurz vor dem Entgleisen stehen, denn der Professor klopfte ihm anerkennend auf die Schulter.
    »Sie haben die Tür geöffnet, Herr Saaler. Das ist mehr, als wir noch vor ein paar Tagen zu hoffen gewagt haben. Wichtig sind drei Punkte, über die ich mehr erfahren muss.«
    Er nahm seinen

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