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Das Dorf der Mörder

Das Dorf der Mörder

Titel: Das Dorf der Mörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Herrmann
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Sauerbraten in seine Nase stieg, knurrte sein Magen. Aber er beherrschte sich. Acht Uhr war die klassische Zeit, um eine Frau auszuführen. Er stellte sich vor, wie sie zunächst eine Runde auf dem See bis hinunter zur Insel Stein drehen würden, um anschließend in eines der kleinen Lokale einzukehren, die entlang der historischen Wallanlagen lockten.
    Von seinem Zimmer aus hatte er bereits den Professor angerufen und ihm eine Nachricht auf der Mailbox hinterlassen. Er erzählte, dass er Kontakt zu Cara Spornitz aufgenommen hatte und dass Charlotte Rubin in ihrer Jugend zwei Selbstmordversuche unternommen hatte. Und dass er sich nun mit ihrer Schwester treffen würde.
    Nachdem er aufgelegt hatte, war er versucht, sich Notizen zu machen. Aber dann hatte er vor seinem Fenster den goldenen Abend hereinbrechen sehen. Die Sonne, die von grünen Blättern gefiltert flirrende Muster auf das Kopfsteinpflaster vor dem Haus warf. Er hatte die Vögel singen gehört und die leisen Stimmen der Menschen, die auf der Terrasse saßen und den Sommer genossen. Er wusste nicht, wann er das zum letzten Mal getan hatte.
    Er hatte sein Notizbuch zurück in die Aktentasche geworfen und war hinuntergegangen. Und während er sein Wasser trank und die Zeit bis zu seinem Wiedersehen mit Cara ungenutzt verstreichen ließ, freute er sich.
    Erst hätte er sie fast nicht wiedererkannt.
    Sie trug ein sonnengelbes Kleid, enganliegend bis zu den Hüften, dann weit aufspringend und um ihre Knie spielend. Dazu flache Sandalen, mit denen sie behände in die Gondel kletterte. Die derbe Arbeitskleidung hatte ihren Körper verborgen. Das Kleid brachte ihn zur Geltung. Der weite Ausschnitt lenkte seinen Blick auf ihr Schlüsselbein und den zarten Ansatz ihrer Brüste. Die Haare waren heller, weil sie sie offenbar gewaschen und geföhnt hatte. Sie schimmerten dunkelblond, nicht gefärbt, an den Spitzen ausgeblichen, und sie hatte sie zu einem Knoten im Nacken gebändigt, der die Zartheit ihres Gesichtes noch betonte. Sie schien sich durchaus bewusst, dass das Niedliche und Puppenhafte ihrer Züge gebrochen werden musste, um sie nicht einfach nur süß aussehen zu lassen. So hatte sie die Brauen dunkel nachgezogen und ihre Lippen tiefrot und matt angemalt. Es sah künstlich aus und passte trotzdem zu ihr. Eine Frau, nach der sich die Männer zwei Mal umdrehten.
    Jeremy hatte das Boot für eine Stunde gemietet. Länger war es nicht mehr möglich, hatte der Verleiher betont, da dann die Dunkelheit hereinbrechen würde und alle Gondeln wieder sicher angeseilt am Steg liegen mussten. Er übernahm das Ruder, sie setzte sich ihm gegenüber und arrangierte den weich fallenden Stoff ihres Kleides um ihre Beine. Es war immer noch warm, aber nicht mehr heiß, sodass der feuchte, schwere Duft von Abendtau und Blüten zu ihnen herüberwehte.
    Eine Weile schwiegen sie. Enten schwammen um das Boot herum und bogen dann enttäuscht wieder ab, da sie keiner fütterte. Das Licht der untergehenden Sonne tanzte auf dem Wasser. Er beobachtete den Verlauf der Wellen, die sich vom Boot ausgehend auf dem See langsam auflösten. Das Leder, mit dem die Ruder angebunden waren, knarrte. Eine andere Gondel kam ihnen entgegen. Eine Familie mit zwei Kindern, deren fröhliches Geplapper sie noch begleitete, bis sie das Schloss am Ufer vorbeiziehen sahen.
    »Es ist so schön«, sagte sie schließlich. »Und doch von Menschenhand geschaffen.«
    »Das eine schließt das andere ja nicht aus.«
    »Stimmt.« Sie ließ die Finger ins Wasser gleiten. Ihre Bewegungen erinnerten Jeremy an eine Balletttänzerin: fließend, elegant, schwerelos. Die Tierärztin in den schlammbespritzten Gummistiefeln schien nicht mehr zu existieren. Er betrachtete ihr Gesicht und suchte nach einer Ähnlichkeit zu ihrer Schwester. Haar- und Augenfarbe waren ähnlich, vielleicht noch die Gesichtsform – rund und breitflächig. Wenn er ein Bildhauer wäre, so wäre Charlie der grob geschnitzte Entwurf aus Holz, Cara hingegen die Vollendung in Marmor.
    »Ich entspreche wohl nicht ganz Ihrer Erwartung?«, sagte sie und beobachtete, wie die Seerosen auf dem Wasser zu schweben schienen.
    Er lächelte sie an und merkte, dass er schon wieder ins Schwitzen kam. Rudern ließ einen in der Gegenwart einer so zarten Frau irgendwie grob wirken.
    »Im Gegenteil«, sagte er. »Sie haben sie gerade übertroffen. Das sieht hübsch aus, was Sie da anhaben.«
    »Ach, das Kleid. Das ist schon so alt … ich habe es auf dem Standesamt

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