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Das Dorf der Mörder

Das Dorf der Mörder

Titel: Das Dorf der Mörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Herrmann
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nichts Weltbewegendes verpasst zu haben, verlassen hatte.
    Warum also nicht Dessau? Bauhaus, Industriearchitektur, viel Grün. Er war auf dem Weg zu Cara Spornitz’ Praxis durch eine von Krieg und Wiederaufbau ihres Charakters beraubte Stadt gefahren, mit der üblichen Haupteinkaufsstraße und den üblichen Geschäften, einigen wenigen schönen Altbauten und viel austauschbarer Belanglosigkeit.
    Sie warf die halbleere Flasche zurück auf den Sitz. »Na, jetzt ist es Ihnen ja gelungen. Um was geht es? Lassen Sie mich raten. Ihr Jagdpferd hat eine Kolik.«
    Jeremy musste lächeln. Er trug Timberlands zur Cordhose, ein Baumwollhemd mit offenem Kragen und dazu einen Blazer aus englischem Tweed. Unbewusst hatte er sich offenbar auf Landpartie, Heu und Kleinstadt eingestellt.
    »Nein. Ich bin hier …«
    »Ihr Hund? Ein Golden Retriever, wenn Sie nicht zur Jagd gehen. Was hat er denn, was nicht warten kann?« Sie pustete sich eine Strähne aus der Stirn. Ihre Stimme verriet weder Ablehnung noch Spott. Sie war einfach nur genervt. Sie griff nach der Beifahrertür, um sie zuzuschlagen.
    »Es geht um eine Familienangelegenheit. Das hatte ich am Telefon schon erwähnt.«
    Ihre Hand fiel herunter. Ihr Blick und ihre Haltung veränderten sich. Langsam knotete sie die Bänder ihrer Schürze auf, ohne ihn aus den Augen zu lassen.
    »Ihres Hundes?«
    »Nein. Es geht um Charlotte Rubin. Wir sollten das vielleicht nicht hier erörtern.«
    »Sie sind … aus Berlin?«
    Sie drehte sich um und musterte das Hofgelände. In der Luft lag der satte Geruch von reifendem Korn und gemähtem Gras. Vielleicht suchte sie seinen Wagen. Er hatte ihn vor dem Haus am Straßenrand geparkt.
    »Ja.«
    Sie streifte die Schürze ab und legte sie sorgfältig zusammen. Dann umrundete sie den Wagen und öffnete den Kofferraum. Sie warf das Kleiderbündel auf die Ladefläche, setzte sich und zog die Gummistiefel aus, um in ein Paar Sneakers zu schlüpfen. Das Blut auf ihren Oberarmen und ihrer Stirn trocknete, und sie hatte dunkle Flecken auf dem T-Shirt, die nicht nach Schweiß aussahen. Jeremy folgte ihr. Die Sonne stand schon tief. Er warf einen langen Schatten und bemühte sich, dass dieser nicht auf sie fiel.
    »Wie haben Sie mich gefunden?«, fragte sie, während sie die Schnürsenkel festzurrte.
    »Im Internet.«
    »Ach ja. So kriegt mich jeder. Was wollen Sie?«
    »Ich komme im Auftrag von Professor Brock. Er ist der Gutachter Ihrer Schwester. Er meint, es wäre vielleicht eine gute Idee, wenn Sie …«
    Jeremy brach ab. Sie war fertig mit ihren Schuhen und stand auf. Aus dem Stall kamen zwei Männer. Einer groß und breitschultrig, der andere jünger und schmaler. Beide trugen blaue Overalls. Sie sahen sich ähnlich. Jeremy tippte auf Vater und Sohn. Der Sohn trug eine schwere Arzttasche. Cara ging auf sie zu, wechselte ein paar Worte mit ihnen, verabschiedete sich mit Handschlag und trug die Tasche zu ihrem Wagen zurück. Er trat einen Schritt zur Seite, damit sie sie auf die Ladefläche stellen konnte, auf der ein buntes Durcheinander von Pappkartons, Schuhen, Kitteln, Geräten und weiteren Taschen herumlag.
    »Wir würden gerne mit Ihnen reden.«
    Er sah sich um. Die beiden Männer gingen ins Haus, wo sie von der Frau mit dem Kopftuch erwartet wurden, die in der Eingangstür stand und neugierig herüberstarrte. Cara schenkte ihm ein höfliches Lächeln.
    »Ich rede nicht über meine Schwester.«
    »Wir glauben, dass es wichtig ist, mehr über sie zu erfahren. Die Gespräche mit ihr sind nicht einfach. Alles, was mit ihrer Kindheit zu tun hat, interessiert uns sehr.«
    Ihr Gesichtsausdruck gefror. Noch bevor er sich fragen konnte, was er falsch gemacht hatte, war sie auch schon an der Fahrertür.
    »Ich kann Ihnen nicht helfen.«
    »Das hat Frau Rubin bereits angedeutet. Aber ich glaube das nicht.«
    »Charlie …« Sie lehnte sich an den Wagen und verschränkte die Arme. »Ich habe sie seit Jahren nicht mehr gesehen. Wie geht es ihr? Wie kommt sie mit allem zurecht?«
    »Tut mir leid. Darüber darf ich keine Auskunft geben.«
    »Aha.« Sie scharrte mit den Fußspitzen auf der staubtrockenen Erde. »Dann geht es also um Vertrauen gegen Vertrauen? Ich gebe dir etwas und du mir?«
    Jeremy wusste, dass das Du nicht persönlich gemeint war. Trotzdem verwirrte es ihn.
    »Professor Brock wird Ihnen sicher weitere Auskünfte geben können.«
    »Und Sie?«
    »Ich kann Sie nur bitten, so bald wie möglich nach Berlin zu kommen.«
    »Einfach so? Ohne

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