Das Dorf der Mörder
mit dem kleinen, blutroten, verlockenden Mund. Ich will mit ihr schlafen. Der Gedanke zuckte durch sein Hirn und seinen Körper. Er spürte Adrenalin und Verlangen.
»Und jetzt bin ich Tierärztin. Die kleine Asoziale aus Wendisch Bruch.« Sie lächelte, als ob ihr Coup sie gleichzeitig erstaunen und triumphieren ließ.
»Ihre Schwester züchtet Ratten.«
»Ich habe es in der Zeitung gelesen. Wir haben uns ganz unabhängig voneinander entwickelt und haben doch ähnliche Berufe. Na ja, vielleicht nicht ganz so ähnlich. Ich will hier keine moralischen Messlatten ansetzen. Ihr Job ist wichtig, genau wie meiner. Aber was die Journalisten aus ihr gemacht haben, ist widerwärtig. Charlie ist kein Monster. Sie hat diesen Mann nicht getötet.«
»Sie wurde überführt und hat ein Geständnis abgelegt.«
Cara schüttelte den Kopf. »Dann hat man sie erpresst oder sonst was mit ihr gemacht. Ich kann das nicht glauben. In den Zeitungen stand, sie hätte den Mann auch noch zersägt. Das kann sie gar nicht. Da habe sogar ich Schwierigkeiten. – Oh Gott.«
Sie schlug die Hand vor ihren blutroten Mund. »Das klingt, als ob … beim Schlachten muss ich manchmal auch mit Hand anlegen. Haben Sie jemals ein Schwein zerteilt, ohne Kettensäge? Das ist Schwerstarbeit.«
Jeremy konnte sich im Moment überhaupt nicht vorstellen, was diese zarte Frau noch alles in ihrem Job zu bewältigen hatte.
»Charlotte Rubin hat gestanden. Und der Staatsanwalt hat alle Beweise zusammengetragen. Beides sagt uns, dass Ihre Schwester tatsächlich diesen Mann getötet hat. Aber wir wissen nicht, warum. Darüber schweigt sie. Es gibt auch keine Verbindung zu ihm. Als ob sie willkürlich jemanden aus der Masse der Tierparkbesucher herausgepickt hätte. Wir sollen herausfinden, ob Charlotte Rubin ein gesunder oder ein kranker Mensch ist.«
»Wenn sie gesund ist, ist sie bei guter Führung nach fünfzehn Jahren draußen.«
»Nicht zwangsläufig. Aber es könnte sein.«
»Und wenn Sie der Meinung sind, sie ist krank, dann landet sie den Rest ihres Lebens in der Psychiatrie. Stimmt’s?«
Jeremy drehte sich um. Die Insel Stein tauchte auf. Ein künstliches Eiland aus grauen Feldsteinen, auf dem eine dunkelrote Villa thronte.
»Sie ist nicht krank.« Caras Stimme klang wie eine Bitte. Als ob das Urteil von ihm, Jeremy, abhängen würde.
»Dann helfen Sie uns. Und Ihrer Schwester. Kommen Sie nach Berlin, und reden Sie mit Professor Brock.«
»Das würde ich tun, wenn ich nur den Hauch einer Chance sähe, wirklich etwas dazu beitragen zu können. Was sagt sie denn? Will sie mich sehen?«
Jeremy begann ein Wendemanöver, das er bewusst komplizierter gestaltete, um Cara nicht antworten zu müssen.
»Ich verstehe.« Sie hatte Taschen in ihrem weiten Rock. Aus einer zog sie ein Papiertaschentuch hervor und tupfte sich damit über die Augen. Er konnte nicht erkennen, ob sie mit den Tränen kämpfte, aber ihre Augen glitzerten feucht. »Also, was soll ich denn da?«
Jeremy begann zurückzurudern. Er wollte nicht zu spät an den Bootsanleger zurückkommen und den Verleiher damit in Verlegenheit bringen. Die Fahrt verlief schweigend. Cara betrachtete mal ihr Taschentuch, mal die letzten Schwalben, die auf der Suche nach abendlichen Leckerbissen die Wasseroberfläche touchierten. Als sie den Steg erreichten, stand der Mann schon da und erwartete sie.
Jeremy reichte Cara die Hand, um ihr beim Aussteigen zu helfen. Das Boot wackelte, sie verlor die Balance und hielt sich einen Moment krampfhaft an ihm fest. Dann erreichte sie festen Boden und hüpfte leichtfüßig die Stufen zum Ufer hinauf.
Oben angekommen, wartete sie auf ihn. Er bezahlte das Boot. Jede Handbewegung, jedes Wort, das er noch mit dem Mann wechselte, nahm er bewusst wahr. Sekunden, Minuten, die verrannen. Zeit, die verging, die den Moment der Trennung näher brachte. Er wünschte sich, dieser Sommerabend würde endlos dauern. Schließlich verabschiedete er sich.
»Wohin?«, fragte sie.
Er griff nach ihrer Hand, und sie ließ nicht los. Einige letzte Spaziergänger kamen ihnen entgegen, die Dämmerung senkte sich über den See und das Land. Sie nahmen einen schmalen Weg, der über verspielte Brücken und an geheimnisvollen Statuen vorbeiführte, die im Schlosspark standen. Das künstliche Dickicht und die üppig blühenden Sträucher schienen wie gemacht für Liebespaare, die sich vor neugierigen Augen verstecken wollten. Sie lief voraus, ihre Hand noch immer in der seinen verschränkt,
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