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Das Dorf der Mörder

Das Dorf der Mörder

Titel: Das Dorf der Mörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Herrmann
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getragen.«
    Jeremys Herz gefror. Sie war verheiratet. Natürlich. Warum sollte sie auch sonst einen anderen Nachnamen tragen?
    »Bei der Scheidung hat es dann ein Overall getan. Ich kam von einer Hausschlachtung und hatte keine Zeit mehr, mir was Anständiges anzuziehen.«
    Sein Herz taute wieder auf. Die Schnelligkeit, mit der es den Aggregatzustand wechselte, und die ungewohnte Anstrengung raubten ihm fast den Atem.
    »In meinem Beruf verliert die Natur schnell ihre Romantik. Aber an Abenden wie diesen …« Jeremy konnte seinen Blick nicht von ihr lassen. Er hatte lange keine Frau mehr getroffen, die ihn so faszinierte. Egal, ob sie nach Gülle oder Rosen duftete. »… könnte ich glatt mal wieder dran glauben.«
    Sie grinste ihn an.
    »An was?«, fragte er und kam sich dämlich und ertappt vor.
    »Die Romantik. Man hat nicht viel Platz für sie im Leben. Oder ist das bei Ihnen anders?«
    »Nein.«
    »Was machen Sie eigentlich genau?«
    »Ich bin Diplompsychologe und mache meine Facharztausbildung bei Professor Brock.«
    »Warum?«
    »Ich verstehe nicht.«
    »Warum Psychologie?«
    Weil mein Vater es so wollte? Er verkniff sich diese Antwort und sagte stattdessen: »Weil ich Menschen verstehen will. Auch die, die es uns schwer machen.«
    Er lauschte in sich hinein und stellte fest, dass die Antwort stimmte. Sie machte ihn froh, übermütig und anders. Leichter, ja, leichter. Es war, als ob der Schatten seines Vaters soeben das Boot verlassen hätte.
    »Macht Charlie es Ihnen schwer?«
    »Ziemlich.«
    »Das dachte ich mir. Sonst wären Sie ja nicht hier. Was genau wollen Sie von mir?«
    »Professor Brock glaubt, dass Sie ihm etwas über Frau Rubins Kindheit erzählen könnten.«
    »Das habe ich doch schon erklärt, dass ich das nicht kann. Wir sind zu weit auseinander. Als ich anfing, klar zu denken, war sie schon aus dem Haus. Sie hat im Tierpark von Dessau angefangen und ist dann wegen einer Lehrstelle nach Berlin. Sie kam nicht wieder. Sie hat den Kontakt völlig abgebrochen.«
    »Und Sie? Was wurde aus Ihnen?«
    Ihr Blick verdüsterte sich. »Ich fühlte mich verraten. Meine Mutter ist früh gestorben, und mein Vater soff wie ein Loch. Ich wollte nichts wie weg und habe Charlie deshalb gut verstanden. Trotzdem fühlte ich mich im Stich gelassen.«
    »Wie alt waren Sie da?«
    »Fast noch ein Kind. Mein Vater starb ein paar Jahre später an Leberzirrhose. Ich glaube, wir haben in all der Zeit keine drei Worte gewechselt. Ich habe den Haushalt geführt und nach der Schule das bisschen Vieh versorgt, das wir vor der Wende als Privatleute haben durften. Ich war noch nicht mal sechzehn nach seinem Tod, da habe ich den Hof verlassen. Ich war nie wieder dort. Wahrscheinlich verfällt er. Charlie hat ihn geerbt, aber sie hätte wohl alles lieber gehabt als den Hof am Bein. Ich bin dann nach Waren an der Müritz. Dort habe ich eine Ausbildung zum Pferdewirt gemacht. Und dort habe ich auch Jörg kennengelernt.«
    Sie lächelte unsicher. Jeremy vermutete, dass Jörg der Mann gewesen war, der ihr Kleid als Erster zu sehen bekommen hatte.
    »Jörg war das Beste, was mir passieren konnte. Ich war ein Nichts. Ich konnte keine drei Worte reden, ohne zu stottern. Ich kam mit Tieren besser zurecht als mit Menschen. Er hat mich bestärkt, genau das zu meinem Beruf zu machen und zu studieren. Ich hatte kein Abitur, nur mittlere Reife. Aber ich habe eine Eins-a-Ausbildung hingelegt. Nach vier Jahren konnte ich mich zum Probestudium bewerben.«
    »Und dann?«
    »Ich ging nach Leipzig, er blieb in Waren. Er hat mir die Tür gezeigt, durch die ich gehen musste. Er war älter als ich. Viel älter. In Leipzig habe ich mich zum ersten Mal jung gefühlt. Er hat es gewusst und es trotzdem getan. Er muss mich geliebt haben.«
    »Und Sie?«
    »Er war wie der Vater, den ich nie hatte. Bei der Scheidung haben wir beide geweint. Er wird immer in meinem Herzen bleiben. Aber nicht in meinem Leben.«
    Jeremy nickte. Das Schicksal des unbekannten älteren Mannes rührte ihn. Gleichzeitig war er fast glücklich, dass Cara mit diesem Kapitel ihres Lebens abgeschlossen hatte. Er war versucht zu fragen, ob es einen neuen Mann an ihrer Seite gab. Ob sie jetzt auch Jüngeren eine Chance gab. Doch das wäre eitel und selbstgefällig gewesen, und er wollte sich nicht lächerlich machen. Er genoss es, ihr zuzuhören und dabei seine Muskeln zu spüren, die sich spannten, wenn er das Ruder durchs Wasser führte. Und er konnte sie betrachten, dieses Elfenwesen

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