Das Dorf der Mörder
seinen Pommes frites nicht Halt machte. Dazu tranken sie Bier aus der Dose.
»Kommst du jetzt nach Berlin?«, fragte er und schnappte ihr das letzte Stück seines Sandwiches weg.
»Weiß ich noch nicht«, antwortete sie mit vollem Mund. »Kommt drauf an, was du noch so zu bieten hast. Im Moment bin ich gerade drauf und dran, deinen Überredungskünsten zu erliegen.« Sie tunkte ihre Pommes in seinen Ketchup.
»Dann setzen wir das doch einfach fort«, sagte er leichthin.
Sie nahm die Serviette und wischte sich die Finger daran ab. »Wie, fortsetzen?«
»Wir machen da weiter, wo wir im Moment hoffentlich noch lange nicht aufhören werden.«
Er beugte sich vor und wollte ihren Bauch küssen, aber Cara rückte ein Stück weg.
»Jeremy«, sagte sie, und ihm war klar, was jetzt kommen würde. Er wusste es, weil es die ganze Zeit zu schön, zu leicht, zu einfach gewesen war. So etwas gab es nicht. Dinge hatten kompliziert zu sein, sonst waren sie nichts wert. Frauen hatten andere Maßstäbe als Männer. Für sie zählte anfangs nicht das Glück, sondern die Bedenken. »Das war wirklich schön mit dir. Und glaube nicht, ich hätte das alle Tage. Aber es ist keine gute Idee, das fortzusetzen.«
»Warum nicht?«
»Du bist Psychologe. – Halt, unterbrich mich nicht.« Er hatte den Mund öffnen und Einspruch erheben wollen. »Du willst etwas über meine Schwester herausfinden, deshalb bist du hier.«
»Aber doch nicht, indem ich mit dir ins Bett gehe!«
»Heute vielleicht nicht. Aber das nächste Mal? Charlies Vergangenheit ist auch meine. Was ihr passiert ist, wirst du irgendwann in ein Verhältnis zu mir setzen. Ich will das nicht. Das hier war ungewollt, spontan. Es hat uns beide überrascht. Lass es dabei bleiben.«
»Ich kann sehr gut das Berufliche vom Privaten trennen.«
Sie stand auf. Aber sie ging nicht in die Dusche. Sie zog sich an. Jeremy stellte seinen Teller mit den restlichen Pommes auf dem Boden ab. Ihm war der Appetit vergangen.
»Das klang aber eben ganz anders.« Sie schlüpfte in das Kleid, das nichts von seiner Schönheit verloren hatte, ebenso wenig wie seine Trägerin. Ihr Haar hatte sich gelöst, es fiel zerzaust auf ihre Schultern. Der Lippenstift war verschwunden, und über ihrem Gesicht lag ein Hauch von Röte wie nach einem langen Spaziergang. Sie sah herzzerreißend jung aus, und Jeremy wusste nicht, wie er diese überirdische Erscheinung dazu bringen könnte, dieses verdammte Kleid wieder auszuziehen und sich zu ihm zu legen.
»Es klang danach, als ob du sehr gut wüsstest, wie man das Angenehme mit dem Nützlichen verbindet.«
»Aber das ist doch nicht wahr«, protestierte er schwach. Was war denn in sie gefahren? Was hatte er falsch gemacht? »Du willst doch auch, dass wir deiner Schwester helfen.«
»Indem du mit mir in die Kiste steigst?«
Sie kramte in den Taschen ihres Kleides, fand ihren Lippenstift und ging damit ins Bad. Jeremy stand auf. Mit einem Mal war Scham da, Unsicherheit. Er schlüpfte in seine Hose, bevor er ihr folgte.
Sie malte sich die Lippen an. Er blieb hinter ihr stehen.
»Das ist nicht dein Ernst.«
»Wie wichtig ist sie dir?« Sie sah ihm durch den Spiegel in die Augen.
»Charlie?«
»Ja.«
»Sie ist jemand, der Hilfe braucht. Eine Patientin von Professor Brock.«
»Wie hat sie versucht, sich das Leben zu nehmen?«
»Sie hat sich einen Bleistift in die Halsschlagader gerammt.«
»Und warum ist sie nicht gestorben?«
Er trat neben sie, ließ Wasser ins Becken laufen und wusch sich die Hände.
»Wer hat ihr das Leben gerettet?«
»Ich«, antwortete er und fuhr sich mit den nassen Händen übers Gesicht.
Cara ließ den Stift mit einer Drehbewegung zurück in die Hülse fahren und steckte die Verschlusshälfte auf.
»Ja, so ist sie.«
Sie ging zurück ins Zimmer. Jeremy, fassungslos über ihre letzte Bemerkung, griff nach dem Handtuch und trocknete sich ab. Er folgte ihr, immer noch ratlos, was die Veränderung in ihrem Wesen herbeigeführt haben mochte. Sie sind sich so ähnlich, dachte er. Zwei Seelen in einer Frau.
»Wie meinst du das?«
Cara schlüpfte in ihre Sandalen. Die Riemchen waren zu schmal, um sie mit einer Hand zu schließen. Sie ging in die Hocke und sah zu ihm hoch.
»Sie findet immer jemanden, der ihr das Leben rettet.«
»Das klingt, als ob du ihre Suizidversuche nicht sehr ernst nimmst. Es war aber verdammt nah dran.«
»Das ist es bei ihr immer. Und jetzt?« Sie hatte die Riemchen geschlossen und stand auf. »Jetzt bin
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